Literatur und Gesellschaft
Natalie
Moser
Basel

Raabes narrativ inszenierter Bilddiskurs als (gesellschafts-) kritischer Aufbruch Richtung Moderne?

1. Die Relevanzfrage als textinternes und -externes Movens

Die Frage nach dem Verhältnis von Literatur und Gesellschaft scheint keine Fragestellung unter anderen zu sein, sondern eine Grundunterscheidung sowohl der Literatur- als auch der Kulturwissenschaft anzuzeigen. Im Folgenden gilt es zu diskutieren, inwiefern diese Fragestellung sowohl Antrieb als auch Bestandteil eines literarischen Werkes sein kann. Die Frage nach der gesellschaftlichen Relevanz wäre somit keine, die ausschließlich von außen an ein literarisches Werk herangetragen, sondern von diesem selbst formuliert würde. Indem das literarische Werk die textexterne Fragestellung im Erzählzusammenhang aufgreift, stellt es den eigenen Status, sein Verhältnis zur Wirklichkeit und somit seinen (Kunst-) Werkcharakter zur Diskussion. Jan Eckhoff stellt in einem Aufsatz diesen Zusammenhang anhand der Stichworte ›Tradition‹ und ›Moderne‹ dar, indem er den zu analysierenden Text als Zeuge eines Epochenumbruchs bestimmt, dessen prekärer Status textintern durch das Zugleich von traditionellem (realistischem) und modernem Erzählen (oder Reden: es wird auf den Fach- oder Literaturwortschatz in den Figurenreden hingewiesen) abgebildet ist.1 Die zwischen den beiden Polen ›traditionell‹ und ›modern‹ aufgespannte Skala bietet die Möglichkeit, den Umbruch textintern darzustellen. Dass und wie Fremd- und Selbstreferenz zusammenhängen und werkkonstitutiv sind, lässt sich – wie Eckhoff und andere vorführen – am Spätwerk von Wilhelm Raabe, einem deutschen, vordergründig der literarhistorischen Epoche ›Realismus‹ zuzurechnenden Autor, zeigen und indirekt wiederum die Frage nach dessen gesellschaftlicher Relevanz beantworten. Dass die Bejahung der Relevanzfrage im Rahmen der Literaturwissenschaft positiv ausfällt, zeigt sich an den Feierlichkeiten zum 100. Todestag von Wilhelm Raabe (1831–1910),2 in indirekter Form auch am aufgewerteten Wilhelm Raabe-Literaturpreis, in dessen Rahmen sich die jeweiligen Preisträger zu Raabes Werk und / oder Person äußern, was wiederum in eine Publikation3 mündet. Worin nun aber die (spät-) werkspezifische Aktualisierbarkeit und somit die Voraussetzung für eine zeitunabhängige Rezeption besteht, bildet den Gegenstand der folgenden Untersuchung. Dass der Fokus auf einem Werk liegt, das sich gerade durch einen starken (Jetzt-) Zeitbezug auszeichnet und bei dem folglich die Gefahr des Überholtwerdens besonders groß ist, soll einsichtig werden, nachdem die Verbindung von Zeit, Bild und Narration in einem narrativ inszenierten Bilddiskurs als ›moderne‹4 Form einer narrativen Selbstreflexion ausgewiesen wurde.

2. Die narrative Inszenierung eines Bilddiskurses

Die 1884 veröffentlichte Erzählung5 Pfisters Mühle. Ein Sommerferienheft6 beinhaltet die Geschichte des Niedergangs einer Mühle, die vom Sohn des letzten Besitzers aufgezeichnet wird, während er mit seiner Frau die Flitterwochen in der verkauften, zum Abbruch bereitstehenden Mühle verbringt, an deren Stelle eine Fabrik errichtet wird. Die Publikation der Erzählung erfolgte mit Verzögerung, da sich die Suche nach einem Verleger als schwierig herausstellte. Die detailreiche Schilderung des den Niedergang der Mühle begleitenden Gestankes, der mit der Verschmutzung des Mühleflusses einherging, stieß auf wenig Interesse seitens der Verleger.7 Sowohl die thematische Aktualität des Textes als auch die für das Spätwerk typische asymmetrische Verknüpfung von Erzähltem und Erzählen in der Form eines Erzählens des Erzählens des Erzählens etc. stand einer erfolgreichen Vermittlung des Textes an das Publikum entgegen. Indem Raabe als Quellen für seinen literarischen Text auf Gerichtsakten, die einen Prozess zweier Mühlebesitzer gegen einen Fabrikbesitzer registrieren, sowie auf chemische Analyseschriften zurückgriff, haben nicht nur die Themen – die Nebenwirkungen der Industrialisierung und somit die negativen Folgen des Fortschrittglaubens –, sondern auch die Quellen einen Gegenwartsbezug (vgl. BA 16, S. 517–519). Dass dieser im literarischen Werk nicht einfach affirmativ übernommen und narrativ reproduziert wird, zeigen die Abweichungen zu den Quellen und die Fokussierung auf die Niederschrift der Begebenheiten, sodass nicht nur eine (konkrete) Zeitdarstellung mit deren Mitteln (Quellen), sondern auch eine (Jetzt-) Zeitkritik formuliert wird. Dirk Göttsche bezeichnet den Text deswegen als »letzten Zeitroman«8 Raabes, wobei dieser nicht nur eine bestimmte Zeitdarstellung und kritik beinhaltet, sondern die Möglichkeit der Zeitdarstellung überhaupt zur Debatte stellt (und den Rahmen der Kategorie ›Zeitroman‹ sprengt). Zeitgenössische Problemlagen und Befindlichkeiten bilden einen großen Teil des Inhalts von Pfisters Mühle: Die Frage nach dem Ursprung des Geruchs wird als »nicht die größte, aber eine von den größeren Fragen der Zeit« (S. 116) bezeichnet, allgemein wird auf die »neue[] Zeit« (S. 174) verwiesen: »Wie die Welt, wie die Zeit, die sich augenblicklich die neue nannte, andringen mochte, wie es draußen riechen mochte: in Vater Pfisters Gaststube war noch einmal alles beim alten.« (S. 83). Nimmt man aber die Kopplung von Inhalt und Form9 in den Blick, zeigt sich eine allgemeinere Reflexion an, die über die konkrete Thematisierung der (aktuellen) Zeit (-geschichte) hinausgeht. Die Zeit wird als Gegenstand und als das Andere jeder Erzählung thematisch, wodurch die aporetischen Möglichkeitsbedingungen des Erzählens veranschaulicht werden. Wie Paul Ricœur in seinem dreibändigen Werk Zeit und Erzählung10 zeigt, führt der Versuch, die Zeit narrativ zur Darstellung zu bringen und die Aporetik der Zeitdarstellung in der Form einer narrativen Replik aufzulösen, zu einem Grenzgang der Narration, die sich so der ihrer Konstitution zugrunde liegenden Aporetik bewusst wird (vgl. ZE I, S. 128–131). Die Zeit als Bestandteil und als das Andere der Erzählung kann in keine abschließende (narrative) Darstellung überführt werden, da sie vor der Grundunterscheidung von Erzählen und Erzähltem anzusetzen ist, ihre Darstellung aber nur dieser Differenzierung entlang erfolgen kann. Eine narrative Replik auf die Aporetik der Zeit (-darstellung) vermehrt letztlich nur die mit der Zeitdarstellung verbundenen Aporien. In der Gegenüberstellung von Zeit und Erzählung wird so die (ursprüngliche) Nachträglichkeit letzterer einsichtig, worin sowohl die Stärke als auch die Schwäche der Narration liegt. In einer analogen Dopplung – der Verbindung von Jetztzeitreferenz und der Frage nach der Referenzialität hinsichtlich der Zeit überhaupt – werden in der Erzähleröffnung von Pfisters Mühle mediale Konkurrenten der Narration und deren Vorzüge genannt: »Wer dort nicht selber gewesen ist, der kennt das doch viel zu genau aus Photographien, Holzschnitten nach Photographien, Konsularberichten, aus den Telegrammen der Kölnischen Zeitung, um es dort noch zu suchen. Wir verlegen keine Wundergeschichte mehr in den Orient.« (BA 16, S. 7). Die anderen Medien werden in der Narration nebeneinander gestellt und in ihrer Vielheit gezeigt, sodass das Konkurrenzverhältnis von hergebrachtem Medium (ein literarisches Werk) und zeitgenössischen Medien als narratives Konstrukt zu erkennen ist.11 Formal bleibt so eine Asymmetrie zugunsten der Narration bestehen, auch wenn auf der Textoberfläche die Schnelligkeit der anderen Medien gegen die Narration ins Spiel geführt und letztere indirekt als obsolet markiert wird. Neue Übertragungsmedien wie die Fotografie oder das Telegramm werden zwar genannt, doch scheint wiederum die Medialität als solche zur Debatte zu stehen und der Versuch unternommen zu werden, die Differenz für eine allgemeinere Reflexion fruchtbar zu machen.12 Letztlich kann sowohl die Zeit als auch die Medialitätsthematik als indirekte Replik auf Raabes Gegenwart verstanden werden: Es zeichnet sich bereits die Umbruchphase ab, die in der Fin de siècle-Literatur ihre volle Ausprägung erfahren und in einer Omnipräsenz der Sprachohnmachtsthematik münden wird.13

Der sowohl biographisch, gesellschaftlich als auch medientechnisch motivierte textexterne Antrieb wird textintern aufgegriffen, indem er eine Darstellung erfährt und somit Teil der Binnenstruktur wird, welche die der Narration zugrunde liegende Unterscheidung abbildet. Die Frage nach dem Verhältnis von Literatur und Gesellschaft erfährt keine Beantwortung in der Form einer Narration, sondern wird narrativ reformuliert, damit die Narration in dieser Dopplung eine Grundlagenreflexion vornehmen kann. Dass die narrative Selbstreflexion aufgrund einer Binnendifferenz prozedieren kann, lässt sich anhand des durch die Narration inszenierten Bilddiskurses illustrieren. Die Medienkonkurrenz, d.h. die Langsamkeit der Narration und die Simultanität und Schnelligkeit der visuellen Medien wird nutzbar gemacht, damit die Narration ihr aporetisches Wesen zur Darstellung bringen kann. Exemplarisch dafür ist der Bilddiskurs, der inhaltlich wie auch formal inszeniert wird, um daran anschließend – in der Form einer diskursiven Distanzierung – die Medialität der Narration reflektieren zu können und diese wiederum gegenüber den die Medialität zu verbergen suchenden Repräsentationsmedien wie der Fotografie in Stellung zu bringen. Die nach Fotografien angefertigten Holzschnitte werden als bimediale Gebilde kenntlich, wobei die Fotografie in Relation zum Holzschnitt an die Stelle der Wirklichkeit tritt, die ihren Gegenstand bildet. Dies spiegelt die der narrativen Selbstreflexion inhärente Strategie wider, die einen Bilddiskurs inszeniert und sich im Verweis auf dessen Medialität als doppelt mediale anzeigt, d.h. diese zweifache Vermitteltheit zur Darstellung bringt. In diesem Sinn sind auch die (Binnen-) Erzählerkommentare zu verstehen, in denen sich der Erzähler als unglaubwürdiger einführt, d.h. im Verweis auf die Fragwürdigkeit seiner Aufzeichnungen (die stellenweise gar als Abschreiben kenntlich gemacht werden)14.die Frage nach der Wirklichkeitstreue als Merkmal einer Erzählung aufwirft und somit wiederum das realistische Erzählen selbst ins Zentrum rückt.15

Der narrativ inszenierte Bilddiskurs als Ausgangspunkt für die Interpretation von Raabes selbstreflexivem Spätwerk bietet die Möglichkeit, einerseits Hubert Ohls an Hegel angelehnte Überlegungen zum Verhältnis von Bild und Wirklichkeit16 aufzugreifen und andererseits das Bild als Einsatzpunkt für die Narration auszuweisen.17 Die Narration stellt sich in Auseinandersetzung mit einem alternativen Sinngebilde als Metanarration dar und verweist indirekt auf die Unabschließbarkeit der Narration wie auch der Metaebenen. Dabei zeigt sich, dass weder vom Bild allgemein noch von Vorstellungsbildern im Sinne von Resultanten einer Interpretationsleistung seitens des Rezipienten ausgegangen werden kann, sondern der exemplarische Vergleich von Bild(ern) und Text(en) ernst genommen und als Teil einer bimedial inszenierten narrativen Selbstreflexion in Pfisters Mühle verstanden werden muss.18

Die narrative Inszenierung eines Bilddiskurses erfolgt wiederum auf der Ebene des Erzählten und der Ebene des Erzählens, sodass je ein Beispiel referiert werden soll. Bei der Zuordnung, ob der Bilddiskurs inhaltlich oder formal fruchtbar gemacht wird, muss wiederum berücksichtigt werden, dass es sich um eine relative Charakterisierung handelt, da in der narrativen Inszenierung eines Bilddiskurses immer beide Momente zusammenspielen, was wiederum der Mehrdimensionalität der narrativen Selbstreflexion geschuldet ist. Die Frage nach Inhalt und Form lässt sich auf jeder Textebene neu stellen, sodass Form und Inhalt als Parameter dienen, um ein Organisationsprinzip der Narration, die zugleich Narration und Metanarration sein kann, auszuweisen. Die Ausdifferenzierung der beiden Aspekte ist der Exemplifizierung anhand von konkreten Textpassagen geschuldet, nicht einer strikten Trennung von Inhalt und Form, die gerade als eine relative / zeitliche kenntlich gemacht werden soll. Anhand des bereits anzitierten Textanfangs von Pfisters Mühle lässt sich abschließend dann der Zusammenhang von Inhalt und Form, von Thematisierung und Darstellung in Hinblick auf das Erzählen und dessen Auseinandersetzung mit der Zeit veranschaulichen.

2.1. Die leitmotivische Frage: Wo bleiben alle die Bilder?

Im sechsten Blatt der Erzählung, das den Titel »Eine nachdenkliche Frage« (BA 16, S. 30) trägt, findet sich die zur Leitformel ausgeweitete Frage: »›Wo bleiben alle die Bilder?‹«,19 die Emmy im Rahmen einer Kunstausstellung ihrem Gatten Eberhard Pfister gestellt hat und die in einem der Reflexion nachgebildeten Schreiben Eberhards einen Widerhall findet. Die Frage erfährt eine Einordnung (»das ist eine Frage, die einem auf jeder Kunstausstellung wohl einige Male ans Ohr klingt«, S. 30) und Beantwortung, nachdem auf das »melancholische Unbehagen« (S. 31), das Kunstausstellungen bei Eberhard hervorrufen und »die gewöhnliche, aus dem ›Bilderbesehen‹ hervorgehende körperliche Ermüdung« (S. 31) übersteigt, angespielt wurde. Die Verbindung von Bild und Körper, Raum und lebensbedrohender Überfülle wird sowohl in Emmys als auch in Eberhards Antwort hergestellt. Eberhard formuliert seine Antwort als Replik auf Emmys Aussage, die auf den fehlenden Nutzen der vielen Bilder und den damit einhergehenden Platzmangel verweist, wie folgt: »Es sind nur die Umrisse und die Farben, welche wechseln; Rahmen und Leinwand bleiben. Jaja, mein armes Kind, es würde uns, die wir selber vorübergehen, den Raum arg beschränken im Leben, wenn alle Bilder blieben!« (S. 32). Eberhard verweist dabei auf den Unterschied von Bildträger (Rahmen, Leinwand) und Bildgegenstand (Umrisse, Farben), wobei ersterer die Möglichkeitsbedingung von letzterem ist und der Begriff ›Bild‹ als verbindendes Moment der beiden Aspekte gedacht werden muss. Der konstatierte Zusammenhang von fixer Form und flexiblem Inhalt wird von Eberhard in Beziehung zu seinem Schreiben gebracht: »Aber es regnet heute rund um Pfisters Mühle und auch auf die selbige. Derselbe Rahmen und dieselbe Grundfläche wie vorgestern; aber ist das noch dasselbe Bild wie vorgestern?« (S. 32). Das in Hinsicht auf die Gemälde formulierte Recyclingprinzip scheint hier nicht zu greifen, da Form und Inhalt, Materie und Idee nicht voneinander zu trennen sind und sich wechselseitig bedingen. Dies zeichnet sowohl die Erinnerung als auch das Schreiben aus, die beide sowohl Methode als auch Gegenstand sind, d.h. die Erinnerungsbilder durch und in der Erinnerung manifest werden, ebenso die textuell generierten Bilder, die erst im und durch das Schreiben entstehen. Der Text führt auf diese Weise vor, wie das Erzählte auf das Erzählen zurückschlägt und umgekehrt.

Die Frage, ob das Bild der Mühle bei Sonnenschein und bei Regen dasselbe ist, verweist auf einen weiteren Bedeutungskomplex in Zusammenhang mit dem Schreiben: das Verhältnis von Szene und Erzählhandlung. Dass die Frage nicht beantwortet wird, ist richtungsweisend, denn die Kontinuität einer Erzählhandlung scheint sich gerade durch den laufenden Übergang von der einen zur anderen Szene zu ergeben, d.h. die Grenzen der Szene sind nicht fix, sodass je nach Perspektive die Differenz oder der Zusammenhang anvisiert wird. Die Übertragung eines bestimmten Form-Inhalt-Verhältnisses auf das Schreiben wird vorgenommen, wobei keine Affirmation, sondern eine Problematisierung dieses Verhältnisses erfolgt und die Unterscheidbarkeit von Form und Inhalt zur Debatte gestellt wird. Indem die Frage leitmotivisch verwendet und die nächste Szene (»Auf Papas Kirchhofe! … Wo bleiben alle die Bilder? …«, S. 33) damit eingeführt wird, wird die Problematik aktualisiert, dabei aber gerade der Übergang oder die Verbindung von Szenen gestiftet (die Szene ›Mühle‹, dann die des ›Kirchhofes‹, wobei kein Kausalzusammenhang besteht und eine assoziative Verknüpfung dargestellt ist). Eberhard schreibt am Ende des Kapitels: »was ich zwischendurch denn doch auch auf diesen Blättern für den möglichen Winter meines Lebens an lustigen und traurigen, tröstlichen, warnenden, belehrenden Erinnerungen in meines Vaters Mühle dauerhaft in bleibenden Bildern in goldenem Rahmen zusammensuchte und -trug.« (S. 37, Hervorhebung N.M.). Durch die verstärkende Dopplung des Aspekts der Dauer der Bilder, die durch das Versammeln von Erinnerungen im Schreiben entstehen soll, wird abschließend eine klare Differenz zu den Gemälden in der Kunstausstellung aufgemacht. Die im und durch das Schreiben konstruierten Szenen sind insofern dauerhaft, als sie über ihre konkrete Ausgestaltung auf ein allgemeines Prinzip, das Zusammenspiel von Form und Inhalt oder von Erzählen und Erzähltem, verweisen. Indem im Erzählen keine Bilder nebeneinander gestellt werden, der Text über keine sichtbaren Bilder verfügt, sondern das narrative Konstruieren und Destruieren eines Bildes vorgeführt und somit die Möglichkeit des Erzählens, zu veranschaulichen, darstellt wird, kann von einer prozessualen Dauerhaftigkeit gesprochen werden. Gerhard Kaiser20 macht in diesem Zusammenhang auf die textintern formulierte Infragestellung des Textes selbst aufmerksam, indem er die Frage nach den Bildern und den Verweis auf deren Funktionslosigkeit sowie die Parallelisierung von Malen und Schreiben als implizite (narrative) Selbstkritik liest. Er verweist weiter auf Eberhards Vorliebe für »tableauhafte Situationsschilderungen« und eine »Neigung zum Stillstellen der Ereignisabläufe« (S. 87), die durch Eberhards Wunsch nach einer Dynamisierung der dauerhaften Bilder kontrastiert werden (Kaiser spricht von Bildern, die zu Bilderfluchten werden, vgl. S. 87). Durch das im Halbtraum erfolgte Betrachten der Bilder im Eilzug, der die lebensbestimmenden Parameter Zeit und Raum außer Kraft setzt (vgl. BA 16, S. 156), wird nicht nur auf die Bewegung, sondern auf ein Zugleich von Dynamik und Statik aufmerksam gemacht (symbolisiert als Erinnerungsprozess).21 Die Dynamisierung, die Eberhard bei der Selbstreflexion seines Schreibens bemüht, wird betont, um eine Gleichzeitigkeit von Erzählen und Erzähltem zu suggerieren. Dabei zeigt sich wiederum der Zusammenhang von Zeitreflexion und -kritik: Letztere kann nur aufgrund von ersterer erfolgen, sodass der höchste Grad an Objektivität die Einsicht in die Möglichkeitsbedingungen des eigenen Schreibens, d.h. in das aporetische Vorhaben, der Zeit habhaft zu werden, ist.

Die Verbindung von Zeitreflexion und -kritik bildet auch die Grundlage der Zeitlosigkeit des Einzelwerks Pfisters Mühle, dessen Inhalt vordergründig ›angestaubt‹ wirkt und hintergründig nicht zu erschließen ist, da es sich als Entziehendes (was nicht nur die Mühle als Motiv und Ort des Erzählens, sondern auch das Erzählte als eine Seite der das Erzählen ermöglichenden und verunmöglichenden Grundunterscheidung charakterisiert und somit die Asymmetrie von Erzählen und Erzähltem ausweist) nicht festmachen lässt und so immer schon auf seine Inszenierung verweist. Exemplarisch wird das Verhältnis von Zeit und Zeitdarstellung anhand der Problematik des Verhältnisses von Erzähltem und Erzählen thematisiert, das im erinnernden Schreiben wiederum doppelt prägend ist. Die radikale Infragestellung eines Zusammenhangs wird in der Narration nicht versöhnt, sondern genutzt: die irreduzible Kluft wird zur (fortlaufenden) Erzählung. Wie Titzmann mit Verweis auf Ort festhält, wird das »todesäquivalente Verschwinden von Realitäten« wie es im Symbol der Mühle vereint ist »geradezu zur Bedingung der Kunstproduktion in seiner ›Nekrosemiotik‹«.22 Dieser Aspekt wird im dritten Unterkapitel unter dem Stichwort der Negativreferenz aufgegriffen werden.

2.2. Dem Emblem nachgebildete Kapitel: Blätter

Während im vorangehenden Abschnitt der Bilddiskurs als Teil eines Figurendialogs und als Folie für eine Reflexion des Binnenerzählers auf sein Schreibprojekt analysiert wurde, wird nun ein formales Moment im Vordergrund stehen, das allerdings wiederum auf der Inhaltsebene eine Entsprechung findet. Es handelt sich um den Aufbau der Erzählung, die in zweiundzwanzig Blätter eingeteilt ist, die jeweils einen Titel tragen und zusätzlich durchnummeriert sind (erstes Blatt etc.). Die aus der Romantik bekannte Textgliederung (als Beispiel sei hier E. T. A. Hoffmanns Zettelkonvolut Lebensansichten des Katers Murr nebst fragmentarischer Biographie des Kapellmeisters Johannes Kreisler in zufälligen Makulaturblättern genannt) lässt sich wiederum mit dem Bilddiskurs verbinden, wenn Eberhard hinsichtlich der Blätter von Bildern spricht: »Hier halte ich das letzte [Bild, N.M.] des bunten Buches fest; für das Schicksal des Blattes Papier, auf welches es gemalt wird, übernehme ich auch diesmal keine Verantwortung.–« (BA 16, S. 177). Eberhard bezeichnet sein erinnerndes Schreiben als Malen eines Bildes auf ein Blatt Papier, wobei er seine Antwort auf die Frage nach dem Verbleiben der Bilder in Hinblick auf das Schreiben umkehrt, indem er auf die Vergänglichkeit des Papiers (in Analogie zur Leinwand als Grundfläche und lage für das Schreiben) verweist. Wenn jedes Blatt ein Bild darstellt, lassen sich die Gliederung in Blätter und die Kapitelüberschriften als Emblemstruktur verstehen, d.h. als eine Darstellungsform, die sich aus dem wechselseitigen Dialog von Bild und Text zusammensetzt. Wenn nun das Bild wiederum weggelassen wird, wird der Dialog von Bild und Text nur zitiert, um als narrativ inszenierte Differenz auf die Sinngenese der Narration zu verweisen. Eberhards Aufzeichnungen malen nicht nur Bilder, sondern stehen an der Stelle von Bildern, die wiederum eine textuelle Rahmung hätten. Die dreiteilige Emblemstruktur – bestehend aus inscriptio, pictura und subscriptio – wird zitiert und unterwandert, wenn die subscriptio an die Stelle des Bildes vorstößt und das kommentierende Verhältnis von pictura und subscriptio nach innen verlegt, d.h. sich als Bild inszeniert und (sich selbst) kommentiert. Die Emblemstruktur wird verwendet, um das Bild als formale Lücke kenntlich machen zu können, in der sich die Narration entfaltet und sich die Merkmale des Bildes, die Verdichtung und Simultanität, zu Nutzen macht. Stichworte wie »konzentriertestes Dasein« (BA 16, S. 18) verweisen auf die verdichtende Funktion von Eberhards Aufzeichnungen, sodass die Frage nach deren Wahrheit oder Wirklichkeitsbezug suspendiert zu sein scheint. Wie hinsichtlich der doppelten Vermittlung von Fotografie und Holzschnitt dargelegt, wird hier formal ebenso eine Bimedialität zitiert, um textintern das Referenzmoment der Narration anzuzeigen und der Narration in dessen Auserzählung die Möglichkeit zu verschaffen, zugleich Narration und Metanarration, d.h. eine narrative Selbstreflexion zu sein. Die konstitutive Tiefenstruktur wird erzählt und somit zur Oberflächenstruktur, die diesen Zusammenhang anzeigt. Dass die ein Bild malende Verschriftlichung von Eberhard wiederum eine Kommentierung erfährt, d.h. sowohl Eberhard als auch seine Frau die Tätigkeit benennen, letztere allerdings mit negativem Impetus,23 kann als indirekte Restitution der Emblemstruktur verstanden werden: Die schriftliche Aufzeichnung, die ein Bild zu malen versucht und dabei auf die Veranschaulichungsfunktion des schriftlichen Erzählens hinweist, erfährt wiederum eine Kommentierung, die an die Stelle der subscriptio tritt und deren Funktion, Kommentar (der pictura und / oder der inscriptio) zu sein,24 erfüllt. Indem die Narration einen Dialog mit dem Bild als alternativem Sinngebilde inszeniert, kann sie die eigene Sinngenese darstellen und anhand der Darstellung reflektieren.

Analog zur bimedial inszenierten Selbstreflexion kann die in der an Raabes Spätwerk orientierten Sekundärliteratur25 betonte Zitierweise in Raabes Texten charakterisiert werden. Wie beim Bild, dessen Latenz die Narration formal und inhaltlich festmacht und das durch die Narration zur strukturellen Lücke wird, die den ›virtuellen Ort‹ der Narration veranschaulicht oder besser gesagt: die permanente Einschachtelungsbewegung einer selbstreflexiven Narration – einer Metanarration – kenntlich macht, wird im Zitieren eine Latenz angezeigt. Bei dieser Latenz handelt es sich nicht einfach um den ursprünglichen Kontext des Zitates (keine strukturelle Latenz in der Form des fehlenden Ursprungstextes), sondern um eine bestimmte, indirekt anvisierte Bedeutung, die durch das Verschweigen im Zitat angedeutet wird. Wie Tausch zeigt, ist es vor allem ein Erinnerungsbild, das durch die Zitate indirekt anvisiert wird: die zukünftige Frau von Eberhards Freund, die zeitgleich mit Eberhard einen Sommer in der Mühle zubringt, was allerdings in seinen Erzählungen nicht realisiert, sondern nur angedeutet wird. Nicht nur die Zitate als Bestandteil von Eberhards Erzählungen, sondern das Erzählen selbst spart aus, schweift ab und deutet an, wodurch es sowohl seinen Ursprung benennt als auch diesen immanent reproduziert und sich so konstituiert.

2.3. Die Narration als Vollzug von Negativreferenzen

Als abschließendes Textbeispiel dient der bereits anzitierte Anfang von Pfisters Mühle, d.h. das erste Blatt mit dem Titel: »Von alten und neuen Wundern« (BA 16, S. 7). Voller Pathos wird das Anfangen thematisiert, indem der Standpunkt des Schreibers und des Schriftstücks in der Form einer negierenden Zitation eines literarischen Werkes – Wielands Oberon – und als Negativreferenz auf alternative Medien bestimmt wird. Das Anfangen stellt sich somit als Abgrenzungsbewegung dar sowohl gegen einen (literarischen) Vorgänger als auch gegen Nachfolger, deren Zukunftsträchtigkeit durch ihre Medialität (und der damit einhergehenden Schnelligkeit der Reproduktion) gestützt ist, sodass der Selbstbehauptungsversuch als ein doppelt vermittelter zu erkennen ist. Anstatt literarische oder reale Orte aufzusuchen, sollen die vor unseren Augen und unter unserer Nase liegenden Wunder aufgedeckt werden. Wie dies erfolgen kann, führen die ersten beiden Seiten des Textes vor, die nachträglich als Anfang von Eberhards Aufzeichnungen kenntlich werden, wenn Eberhard und Emmy sich über dieselben unterhalten und deren Nutzen in Abrede stellen, indem auf die schöne Gegenwart und auf den in Aussicht stehenden Genuss verwiesen wird. Die anhand der Frage »Wo bleiben alle die Bilder?« und der pseudo-emblematischen Kapitelstruktur vorgeführte narrative Strategie, einen Bilddiskurs zu inszenieren und anhand dieser Struktur auf das aporetische Wesen der Narration zu reflektieren, lässt sich bereits an diesen ersten beiden Seiten ablesen. Das, was es zu erzählen gilt, wird in anschaulichen Worten negativ bestimmt, d.h. ein sprachlicher Rahmen geschaffen, den das Folgende zu füllen hat. Die aufgerufenen Bilder bilden somit den Einsatzpunkt für die Narration, die sich in deren Dekonstruktion entfaltet oder bezogen auf die Szene: die eine Szene zur Erzählhandlung auffaltet – die Mühle als (Haupt-) Ort, als die Zeitdauer von Eberhards Schreiben bestimmendes Moment und als Gegenstand der ganzen Erzählung.26 Die Unmöglichkeit einer poiesis ex nihilo wird dargestellt, indem das Anfangen anhand unterschiedlichster Negativreferenzen vollzogen wird. Das Anfangsdilemma wird nutzbar gemacht, indem es erzählt und somit ausgehalten, wenn nicht gar überwunden wird. Diese, die ganze Narration auszeichnende Bewegung ist in den ersten Zeilen des Textes antizipiert (»Wir haben unsern Hippogryphen um die ganze Erde gejagt und sind auf ihm zum Ausgangspunkte zurückgekommen.«, BA 16, S. 7), indem die mittels der Imagination vollzogene Erdumkreisung wieder zum Anfangspunkt führt. Dies ist ein sprechendes, in der Narration anvisiertes ›Bild‹ für eine narrative Selbstreflexion, deren Stärke in ihrer Nachträglichkeit und der Darstellung der dem Erzählen wesentlichen Nachträglichkeit liegt. Im Sinne eines Mottos (über welches der Text zusätzlich verfügt, sodass auch auf der paratextuellen Ebene die Anfangsschwelle mehrfach markiert ist) ist es Teil und zugleich Modell für die folgende Narration, die dieses Verhältnis wiederum reproduziert. Zirbs wie auch Honold halten fest, dass die Aufspaltung des ersten Blattes die Illusion einer unabhängigen Reflexionsbasis vor dem eigentlichen Text zu erwecken sucht, wobei dies durch die Offenlegung des Schriftstückcharakters als textinterne Anzeige auf die Anfangsproblematik der Narration überhaupt zu erkennen ist.27 Über Zirbs Überlegungen hinausgehend zeigt Honold, dass auch auf der Ebene der Erzählprogrammatik eine Spaltung auszumachen ist, wenn das Gattungsmuster der Idylle mit den Gattungsmustern der Satire und Elegie (in Anlehnung an und Abgrenzung von Schiller) gekreuzt wird. Das Erzählprogramm der Idylle verweist auf einen weiteren Aspekt der Frage nach einer inszenierten Bimedialität als Folie einer narrativen Selbstreflexion, da auf der Ebene des Erzählens anhand des Negierens des Idyllenmusters die im vorangehenden Kapitel referierte Emblemstruktur und deren Nutzbarmachung aufgegriffen wird.

Anhand der drei Textbeispiele ließ sich auf unterschiedlichen Textebenen zeigen, inwiefern der inszenierte Bilddiskurs als Folie für die Thematisierung der Veranschaulichungsfunktion des Textes in der Narration dienen kann. Der Bilddiskurs oder der narrativ gestaltete Bild-Text-Dialog ist Teil der narrativen Selbstreflexion, die als narrative Struktur im Text vorliegt und von der Narration zur Darstellung gebracht wird. Mit anderen Worten: Das Paradox des Realismus, in der Darstellung der Wirklichkeit diese zu vermehren und folglich nie an sie heranreichen zu können, wird hier inszeniert, sodass dieser späte Text und allgemein Raabes Spätwerk als Reflexion auf die eigenen, durch den sich konstituierenden literarischen Realismus konturierten frühen Texte verstanden werden kann.28 Narrativ wird vorgeführt, wie eine Programmatik erfolgen kann: Sie benennt und negiert Vorgängiges und stellt sich somit in eine Tradition, indem sie sich als Abweichung kenntlich macht. Dass Raabes Frühwerk an der Grenze zur Trivialliteratur operiert,29 ist der narrativ vollzogenen Bestärkung des realistischen Erzählens ¬geschuldet. Im Gegensatz zu anderen deutschen Realisten wie Otto Ludwig, der den Begriff des ›Poetischen Realismus‹ prägte,30 oder Theodor Fontane, der die Läuterungsfunktion der realistischen Darstellungsweise unterstrich, hat Raabe keine theoretischen Schriften verfasst. In seinem Tagebuch äußerte er sich zwar zur Produktion und Rezeption seiner Werke, nicht aber zur Ästhetik, auch wenn er den Kunstwerkcharakter seiner späten Texte betonte (vgl. die Tagebucheinträge und Briefe im historisch-kritischen Apparat der jeweiligen Braunschweiger Ausgabe, hier BA 16, S. 517–522).
Inwiefern der Fokus auf die literarische Praxis aber einer immanenten Theorie gleichkommen kann, lässt sich wiederum anhand von Paul Ricœurs Überlegungen in Zeit und Erzählung zeigen: Ricœur spricht von einer »Unerforschlichkeit der Zeit« (ZE III, S. 417), sodass die Erzählung als Replik auf die Aporetik der Zeit an ihre Grenzen gelangt und entweder verstummen oder die Gattungsgrenzen (Richtung Lyrik) verlassen muss. Die Narration ist der Zeit nicht gewachsen, da letztere in dem Maß vermehrt wird, wie die Narration sie zum Gegenstand zu machen oder sie darzustellen versucht. Ricœur macht durch den Verweis auf die Lyrik und damit verbunden auf sein mit Zeit und Erzählung zeitgleich konzipiertes Werk Die lebendige Metapher wiederum auf die Nähe von Bild und Narration aufmerksam, was in der die strukturanaloge Spannung von Metapher und Erzählung benennenden Formel »›Synthesis des Heterogenen‹« (ZE I, S. 7) manifest wird. Raabe scheint nun aber gerade die Undarstellbarkeit der Zeit oder der Realität darzustellen, wenn er die Grundunterscheidung von Text und Kontext, Erzählung und Welt textintern aufgreift, um anhand dieser Differenz auf die dem Text zugrunde liegende Differenz (zur Welt) und die für das realistische Erzählen notwendige und daraus wiederum resultierende Kluft zu verweisen. Indem textintern – im Modus der Narration – das Bild gegen den Text in Stellung gebracht wird, kann die Erzählung diese Differenz auserzählen und auf die eigene Vermitteltheit oder Medialität aufmerksam machen und die Möglichkeitsbedingungen der Narration in der Form einer Tiefenstruktur des Textes an der Textoberfläche darstellen.31 Anhand des Bilddiskurses kann die Narration mit ihren eigenen Mitteln auf sich und wiederum diese Mittel verweisen, ohne verstummen oder den Modus der Narration verlassen zu müssen. Die Grundunterscheidung der Erzählung, das ›Wie‹ der Erzählung (das Erzählen) und das ›Was‹ der Erzählung (das Erzählte), wird wiederum zum ›Was‹ der Erzählung, d.h. narrativ verhandelt und somit als narrative Selbstreflexion sinnhaft. Dies hält Zirbs am Ende seiner Auseinandersetzung mit Pfisters Mühle fest, nachdem er gezeigt hat, dass sich nicht nur das Erzählte, sondern auch das Erzählen verändert hat: Das ›Was‹ des Erzählens, das Erzählte wirkt permanent auf das Erzählen zurück (das Erzählen wird von draußen nach drinnen verlagert, so wie die Mühle zum ausschließlichen Erinnerungsgegenstand wird). Die Differenz der beiden Ebenen ist als eine dynamische zu denken, was Pfisters Mühle meisterhaft vorführt.32

Die selbstreflexive Schlaufe ist nicht Selbstzweck, sondern der Frage geschuldet, wie man modern erzählen kann, ohne die Herkunft zu verleugnen, d.h. wie im Spätwerk das Frühwerk aufgegriffen und kritisch überstiegen werden kann. Dieser indirekte Selbst- wie auch Zeitbezug im Sinne einer ihrer Zeitlichkeit bewussten Selbst- und Zeitkritik bildet die Grundlage für die Aktualität von Raabes Spätwerk, das retrospektiv Richtung Moderne weist.33 Raabe scheint sich durch den literarischen Realismus durchgeschrieben zu haben, sodass sich in seinem Spätwerk sämtliche Schichten desselben ausmachen lassen.34 Der jeweilige Zeitbezug und dessen prekärer, bereits überholter, strukturell nachträglicher Status sind Ausgangspunkt und zugleich Teil der Frage nach der Darstellbarkeit der Zeit überhaupt. Sie sind Bestandteil einer narrativen Strategie, sich selbst sichtbar zu machen, ohne das Erzählen in eine finale Krise zu führen, sondern lediglich Krisen auszuerzählen. Inwiefern Raabe mit der Zeit gegangen ist, indem er sie kritisiert hat, zeigt Wetzel in seinem Aufsatz »Wilhelm Raabe und die Krisen der Moderne«. Um Raabes Position zeit- und literaturgeschichtlich verorten zu können, stellt er einerseits Raabes ›Lebenswelt‹ dar und andererseits die gängigen literarischen Repliken auf die ›neue Zeit‹. Er zeigt, dass Raabe mit der Zeit gegen die Zeit vorgeht, d.h. »sich nicht gegen die Zeichen der Zeit stellt, sondern mit und in ihnen eine neue Position gewinnt«.35 Wetzel sieht Raabes Modernität darin begründet, dass er »vertraute Wege neu zu beschreiten«36 im Stande ist, wobei Wetzel diese Kopplung von Althergebrachtem und Neuem vor allem auf der Motiv- und Bewusstseinsebene festzumachen sucht. Auch wenn bei Wetzel eine Gegenbewegung seitens des Erzählens angedacht ist (die genannte Entschleunigungsbewegung), scheint diese umgekehrt mimetische Kopplung von Erzählen und Erleben der Wirklichkeit zu wenig weit zu greifen. Die Krisen der Moderne finden nicht nur in den Motiven Niederschlag, die wiederum ein spezifisches Zeitbewusstsein des Autors Raabe widerspiegeln sollen, sondern auch in der Organisation des Erzählens selbst. Dieses erfolgt nicht nur anhand von bestimmten (traditionellen und) modernen Motiven, sondern generiert diese, d.h. das Erzählen macht sich selbst zum die ganze Narration durchwirkenden und somit auch einenden Motiv. So wird das Erzählen zum Maßstab, indem es ein Erzählen des Erzählens ist, von dem ausgehend erst zu bestimmen ist, was traditionell und modern ist. Die Grundunterscheidung wird somit als eine dynamische gedacht und weder das Erzählen noch das Erzählte bilden fixe Parameter, sondern werden erst im Erzählen jeweils anders und dadurch neu geschaffen. Dass dies textintern am Beispiel eines sich erinnernden Schreibers einsichtig werden kann (Eberhard hält fest, dass er für die vollgeschriebenen Blätter keine Verantwortung übernimmt, d.h. weder er selbst noch die Blätter feste Größen im Sinne einer tragfähigen Norm sind, vgl. BA 16, S. 177), darf nicht zum theoretischen Kurzschluss führen, dass in dieser komplexen Darstellung eines (Erzähler-) Bewusstseins eine Selbstdarstellung des die Zeitgeschichte durchschauenden Autors vorliegt. Eberhards Selbstreflexionen sind nur ein weiteres selbstreflexives Motiv, das mit den anderen, am Beispiel des narrativ inszenierten Bilddiskurses verhandelten Motiven in Beziehung gesetzt werden muss, um die im Werk angelegte narrative Selbstreflexion in ihrer Komplexität verstehen zu können. Dass diese wiederum nicht als ein geschlossenes Gebilde gedacht werden kann, haben Ricœurs Überlegungen zur Aporetik der Zeit und (somit auch Selbst-) Darstellung gezeigt. Werkspezifisch hält Honold fest, dass Raabes Gegenwartsdiagnose die Gleichzeitigkeit des Disparaten sei, d.h. die Koexistenz von Tradition und Moderne, was allerdings nur in concreto einsichtig wird. Als Beispiel für dieses Zugleich nennt Honold die Kinderlaute (»Knüzäma«, »Ololügä« oder »Oimogä«, BA 16, S. 178) am Schluss der Erzählung, die den griechischen Bezeichnungen für Weinen in deutscher Sprache nachgebildet sind und Raabes Version einer Ästhetik des Naiven darstellen. Wiederum ein Indiz mehr, dass es sich hier um ein modernes Erzählen handelt, das die Spuren seiner Herkunft an sich trägt und nur im Verweis auf dieselben – als Darstellung in der Form einer narrativen Selbstreflexion – innovativ sein kann.37

3. Literaturwissenschaft avant la lettre?

Abschließend gilt es die Frage aufzuwerfen, inwiefern eine Narration, die zugleich auch Metanarration ist, Literaturwissenschaft avant la lettre praktiziert. Dabei soll der im Titel dieses Aufsatzes angedeutete kritische Zug thematisiert werden, der die narrative Selbstreflexion als eine Form der Selbstkritik ausweist, die allerdings nur indirekt verfahren und somit keinen Abschluss finden kann, sodass das Spannungsmoment auf Dauer gestellt ist. Der Gestus, literarische Werke aufzugreifen und nicht nur motivstützend zu verwenden, sondern zu Motiven zu machen, weist in diese Richtung (die Erzählung ließe sich auch als Panorama des literarischen Motivs ›Mühle‹ verstehen, wenn verschiedene Gedichte zitiert oder erwähnt werden, deren Gegenstand eine Mühle ist).38 Ebenso verhält es sich bei der Thematisierung des Schreibens und dessen Kontext im Rahmen einer narrativen Selbstreflexion. Die Versammlung von unterschiedlichen literarischen Werken – Wielands Oberon wurde genannt, das Mühlegedicht von Schnezler ist ein weiteres Beispiel – deutet auf eine narrative Literaturgeschichtsschreibung hin, wobei vor allem die Schnittstelle von Romantik39 und Aufklärung40 zum Realismus in den Blick genommen wird, d.h. die vorgängigen Epochen und somit die Frage nach der eigenen Herkunft aufgegriffen wird. Der Verweis auf die Literaturgeschichte erfolgt explizit, wenn im Text von »Wissenschafts- und Literaturgeschichten« (BA 16, S. 139) und dem »Literaturgeschichtenschreiber« (S. 159) die Rede ist. In anderen Texten aus Raabes später Schreibphase ließen sich weitere Belege für eine narrative Auseinandersetzung mit Literatur finden, die in praktischer Form – zum Beispiel als Kritik einer (institutionellen) Literaturkritik, die (im Sinne von Drummers Ansatz) ein verstellendes, indirektes Erzählen verlangt – das zu vollziehen versucht, was die Literaturwissenschaft in theoretischer Hinsicht leistet. Um diese Fragestellung an den Text rückbinden zu können, sei eine letzte Textstelle genannt, die Raabes Affinität zur Literaturwissenschaft und dessen trotz retrospektivem Blick ›Vor-der-Zeit-Seins‹ beleuchtet.41 Es ließe sich allgemein fragen, ob mit dem Fokus auf den durch die Narration inszenierten Bilddiskurs eine bildkritische Literaturwissenschaft einzufordern wäre.42

Im achtzehnten Blatt mit der Kapitelüberschrift »Ausführlicher über Jungfer Christine Voigt« (BA 16, S. 131) wird die fünfte Strophe des strophenweise zitierten romantischen Gedichtes Die verlassene Mühle von August Ferdinand Alexander Schnezler (1809–1853)43 zitiert und von Eberhard einer Deutung unterzogen. Er bezeichnet das Gedicht als eine »Allegorie, in der sich Gleichnis und Dichtung so vollkommen decken« (S. 133), wobei er das Mädchen als für die Poesie selbst stehend versteht (»In seinem Liede meint der Sänger mit dem bleichen, schönen Mädchen die Poesie selber«, S. 133), nicht ohne durch deren Charakterisierung, »die ihre Mühle im romantischen Walde in die Hand der Tagesspekulanten übergehen sieht« (S. 133), wiederum eine Aktualisierung, d.h. eine Abgleichung mit der eigenen Lebenswirklichkeit vorzunehmen. In Anschluss an diese Deutung verweist er auf seine momentane Profession, Philologe zu sein, und auf den vergangenen Zustand, Poet gewesen zu sein: Er will sich sowohl als Produzent als auch als professioneller Rezipient von Literatur ausweisen. Dies insofern auch, als mit dem Verweis auf ›Tagesspekulanten‹ ein Fingerzeig Richtung Literaturbetrieb und in übertragener Bedeutung auf den konkurrierenden Berufsstand der Journalisten einherzugehen scheint. Gerade diese beiden Aspekte sind konstitutiv für Eberhards Aufzeichnungen, wenn er schreibt (Poet ist, d.h. Bilder malt) und schreibend auf das Schreiben reflektiert (Philologe ist, der als Interpretation eines Textes einen weiteren anfertigt). So bildet auch das Paar ›Philologe und Poet‹ oder ›Literaturwissenschaftler und Literat‹ die beiden Pole der Selbstreflexion ab, in deren Spannung narrativ prozediert werden kann. Wenn die Darstellung dieser Polarität wiederum in der Form der Erzählung Pfisters Mühle erfolgt, scheint diese als Praxis die Theorie zu überflügeln, indem sie sie zur Darstellung bringt. Dass diesen Polaritäten wiederum das Bild zugrunde liegt und sie in der Form des narrativen Bilddiskurses veranschaulicht sind, d.h. der Verweis auf die Allegorie Richtung Emblem deutet, scheint wiederum eine bildkritische Literaturwissenschaft auf den Plan zu rufen, um dem Bild gerecht werden und somit eine (nach wie vor) aktuellen Thematik, die Omnipräsenz (visueller) Bilder, anvisieren zu können. So gilt es einerseits die Narration als ein andere Medien zitierendes Verfahren und andererseits den narrativen Bilddiskurs als Dialog ernst zu nehmen, d.h. die narrative Inszenierung eines Bilddiskurses als konstitutiven Bestandteil einer metanarrativ verfahrenden Narration und zugleich als eine Vorlage für eine narrativ vollzogene Bildkritik zu verstehen. Ausgehend von der Aktualisierbarkeit und somit zeitlosen Aktualität von Raabes Spätwerk ließe sich eine der bimedial organisierten narrativen Selbstreflexion angemessene literaturwissenschaftliche Herangehensweise einfordern. Claus-Michael Orts umfassende Darstellung der Problematik des literarischen Realismus in seiner 1998 veröffentlichten Studie Zeichen und Zeit weist in diese Richtung, wenn er auf die Bildaffinität des Realismus verweist, die sich in der Form einer narrativen Zitation und Destruktion des Visuellen zeigt und dadurch einen konstitutiven Bestandteil der narrativen Selbstreflexion bildet. Die Grundunterscheidung von Zeichen und Bezeichnetem wird in die Narration hineinverlegt und von dieser benannt, zugleich aber auch versöhnt, da die Narration in Konkurrenz zum Visuellen44 ihre eigene Referenzfunktion (und deren Spaltung in eine Fremd- und Selbstreferenz) darstellen und zugleich Narration und Metanarration sein kann. Ort gelingt es so, die Frage nach der Referenzialität realistischen Erzählens zu stellen, indem er Bild, Zeichen und Zeit in Verbindung setzt und das aporetische Moment des realistischen Erzählens anzeigen kann. Der vorliegende Artikel hat in Anschluss daran versucht, das Bild auf unterschiedlichen (Text-) Ebenen als ausgewiesenes selbstreflexives Element der Narration auszuweisen. Das Bild als Moment der komplexen narrativen Selbstreflexion in einem von Raabes späten Texten näher in den Blick nehmend, wurde gezeigt, inwiefern Raabes ›selbstreflexiv-realistisches‹ Erzählen modern genannt werden kann.

Literaturverzeichnis

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ZIRBS, Wieland: Strukturen des Erzählens. Studien zum Spätwerk Wilhelm Raabes. Frankfurt/M. u.a. 1986.

  • 1. Vgl. Jan Eckhoff: »Schwefelwasserstoff und Gänsebraten. Moderne und Tradition in Wilhelm Raabes ›Pfisters Mühle‹«. In: Herbert Blume (Hg.): Von Wilhelm Raabe und anderen. Vorträge aus dem Braunschweiger Raabe-Haus. Bielefeld 2001, S. 141–170. Einen Versuch, das Literatursystem ›Realismus‹ und ›Frühe Moderne‹ theoretisch streng zu scheiden, findet man bei Michael Titzmann, der den Unterschied der beiden Systeme wie folgt charakterisiert: »Das realistische ›entweder x oder non-x‹ wäre durch das frühmoderne ›mehr oder weniger an x oder non-x‹ substituiert.« Michael Titzmann: »›Grenzziehung‹ vs. ›Grenztilgung‹. Zu einer fundamentalen Differenz der Literatursysteme ›Realismus‹ und ›Frühe Moderne‹«. In: Hans Krah u. Claus-Michael Ort (Hg.): Weltentwürfe in Literatur und Medien. Phantastische Wirklichkeiten – realistische Imaginationen. Kiel 2002, S. 181–205, hier S. 191.
  • 2. Die zum 100. Todestag veranstaltete Jahrestagung der Internationalen Raabe-Gesellschaft mit dem Titel: Wilhelm Raabe und der Realismus: Konturen und Entwicklungen des Werks im Kontext seiner Zeit hat vom 24–26. September 2010 in Braunschweig stattgefunden. Dirk Göttsches einleitenden Worten zufolge wurde Raabes eigener Weg realistischen Erzählens in den Blick genommen, um in einem zweiten Schritt dessen Teilhabe am realistischen Erzählen anzuzeigen und so eine neue oder andere Perspektive auf den deutschen literarischen Realismus zu eröffnen.
  • 3. Die aktuelle Ausgabe ist: Hubert Winkels (Hg.): Katja Lange-Müller trifft Wilhelm Raabe. Der Wilhelm Raabe-Literaturpreis. Das Ereignis und die Folgen. Göttingen 2009.
  • 4. Dies versteht sich in Abgrenzung zu den selbstreflexiven (Meta-) Narrationen in der (Spät-) Romantik. Wie es zu zeigen gilt, stellt der narrativ inszenierte (oder der zitierte romantische) Bilddiskurs oder die Zitation selbstreflexiver Elemente eine Möglichkeit dar, um das selbstreferenzielle Erzählen zur Darstellung zu bringen und auf einer höheren Ebene zu reflektieren.
  • 5. Der gattungsfremde Untertitel scheint gegen den Gattungsbegriff ›Roman‹ und für den allgemeineren Begriff ›Erzählung‹ zu sprechen.
  • 6. Zitiert aus der historisch-kritischen Braunschweiger Ausgabe: Wilhelm Raabe: Pfisters Mühle. Unruhige Gäste. Im alten Eisen. In: Ders.: Sämtliche Werke. Im Auftrag der Braunschweigischen Wissenschaftlichen Gesellschaft hg. v. Karl Hoppe. Band 16. Bearbeitet von Hans Oppermann. 2., durchgesehene Auflage. Göttingen 1970 (im Folgenden zitiert als BA 16).
  • 7. Vgl. zur Veröffentlichung und Aufnahme des Werkes BA 16, S. 520–522 sowie Horst Denklers Nachwort im Reclamband: Wilhelm Raabe: Pfisters Mühle. Stuttgart 2005, S. 225–251.
  • 8. Dirk Göttsche: Zeitreflexion und Zeitkritik im Werk Wilhelm Raabes. Würzburg 2000, S. 89.
  • 9. Das Begriffspaar ›Form und Inhalt‹ bezeichnet den dem Erzählen zugrunde liegenden Unterschied, auf den Martinez und Scheffel ihre Einführung in die Erzähltheorie aufbauen und der sich durch die beiden Pole ›Erzählen‹ und ›Erzähltes‹ oder das ›Was‹ der Erzählung und das ›Wie‹ der Erzählung bestimmen lässt. (Vgl. Matias Martinez u. Michael Scheffel: Einführung in die Erzähltheorie. München ⁸2009, S. 20ff.) Diese Begriffswahl erlaubt es, die für selbstreflexive Narrationen konstitutive, reflektierte Ebenenunterscheidung zu benennen, um darauf aufbauend mit einem narratologischen Vokabular die Realisierungen der Kopplung des ›Wie‹ und des ›Was‹ der Erzählung zu beschreiben.
  • 10. Vgl. Paul Ricœur: Zeit und Erzählung, Bd. I, II, III. München ²2007, (im Folgenden zitiert als ZE I-III).
  • 11. Vgl. Eckhoff: »Schwefelwasserstoff« (Anm. 1), S. 164.
  • 12. Vgl. Wieland Zirbs: Strukturen des Erzählens. Studien zum Spätwerk Wilhelm Raabes. Frankfurt/M. u.a. 1986. Zirbs versteht die Reflexion auf die literarischen Produktionsprozesse als zentrales Merkmal der späten Texte Raabes und weist die Pfisters Mühle strukturierenden Pole ›Mündlichkeit‹ und ›Schriftlichkeit‹ als Spezifika der narrativen Selbstreflexion aus, da sie textintern die Unterscheidung von Erzählen und Erzähltem aufgreifen. Vgl. ebd., S. 87–107.
  • 13. Vgl. Zirbs’ Ausführungen zur Sprache und dem historischen Kontext, in denen der Gründerzeitoptimismus gegen die Sprachskepsis seitens der Literaten gestellt wird (Zirbs: Strukturen [Anm. 12], S. 15–43), was Michael Wetzel in seinem Aufsatz »Wilhelm Raabe und die Krisen der Moderne« aufgreift. Zirbs sieht in der Selbstreflexion literarischer Produktionsprozesse einen zentralen Aspekt der für Raabe spezifischen literarischen Antwort auf die Verknüpfung von Gründerzeitoptimismus und Zeitkritik, Wetzel findet in Raabes entschleunigendem Erzählen die Antwort auf die Ambivalenz der Gegenwart, dem Zugleich von Tradition und Moderne (vgl. Michael Wetzel: »Wilhelm Raabe und die Krisen der Moderne«. In: Hubert Winkels [Hg.]: Wolf Haas trifft Wilhelm Raabe. Der Wilhelm Raabe-Literaturpreis. Das Ereignis und die Folgen. Göttingen 2007, S. 30–52.). Ergänzend dazu sei auf Ralf Simons Aufsatz »Übergänge. Literarischer Realismus und ästhetische Moderne« verwiesen, in dem er die Schnittstelle von Realismus und Moderne fokussiert und – sich nicht auf die Literatur beschränkend – eine Kontinuität über die Jahrhundertschwelle hinweg aufzeigen kann (vgl. Ralf Simon: »Übergänge. Literarischer Realismus und ästhetische Moderne«. In: Christian Begemann [Hg.]: Realismus. Epoche – Autoren – Werke. Darmstadt 2007, S. 207–223.). Raabes Spätwerk stellt er unter die Formel einer »Ästhetischen Abstraktion« (S. 209), indem er Raabes Erzählen als Versuch eines Entsemantisierungsprozesses versteht. Resümierend hält er fest: »[N]arrative Dekonstruktionen prägen die Erzählwelten von Raabes Romanen, die auf Verfahren der radikalen Abstraktion vorausdeuten und Nullpunktszenarien des Narrativen entwerfen« (S. 221).
  • 14. Eberhards Reflexion auf sein Schreiben lautet wie folgt: »Am einfachsten ist’s hier, ich erzähle nicht, wie ich meiner Frau erzählte, sondern ich schreibe ab aus einer andern Biographie [Hervorhebung N.M.], einem Buche, welches durchaus nicht von meines Vaters Mühle und von Felix Lippoldes handelt, in welchem aber der Name des früheren Besitzers, Doktor Felix Lippoldes, auf der ersten Seite stand und welches nicht durch Zufall unter die wenigen Bände meiner Reisebibliothek geraten war.« (BA 16, S. 81)
  • 15. Oliver Jahraus hält fest, dass die Realität eine Funktion des Erzählers und somit abhängig von einer Erzählinstanz zu denken ist. (Wilhelm Raabes Erzählung Zum wilden Mann bildet dabei eines der beiden Beispiele seiner Analyse). Er zeigt auf, inwiefern das Unrealistische im Text präsent ist, d.h. im realistischen Erzählen das Unrealistische als konstitutives Moment des literarischen Realismus kenntlich wird. Widersprüchliche Aussagen und damit einhergehend die (nachträgliche) Einklammerung der auktorialen Erzählsituation zeugen ebenso vom konstitutiven Gegenpart in der Darstellung der Realität. Das Erzählen selbst wird als ein Problematisieren seines eigenen Status kenntlich gemacht. Vgl. Oliver Jahraus: »Unrealistisches Erzählen und die Macht des Erzählers. Zum Zusammenhang von Realitätskonzeption und Erzählinstanz im Realismus am Beispiel zweier Novellen von Raabe und Meyer«. In: Zeitschrift für Deutsche Philologie 122.1 (2003), S. 218–236.
  • 16. Vgl. Hubert Ohl: Bild und Wirklichkeit. Studien zur Romankunst Raabes und Fontanes Heidelberg 1968. Ohls verdienstvolle Studie widmet sich dem Spätwerk Raabes, für dessen zentrales Merkmal er die Bildlichkeit hält, die aus einer Ineinanderschichtung von Verzeitlichung und Verräumlichung resultiert (vgl. das Kapitel »›Verzeitlichung des Raumes‹ und ›Verräumlichung der Zeit‹«, S. 144–155). Ohl orientiert sich am Bild als Symbol und als konstitutives Moment der Erinnerung und grenzt es von der Struktur des Textes ab, allerdings nicht ohne die Wechselseitigkeit des Bedingungsverhältnisses zu benennen (vgl. S. 12). Er versteht das Bild als textinterne Anzeige der Veränderung des Außen (als Beispiel wird die vor allem in den Bildern manifest werdende Multiperspektivität genannt, vgl. das Kapitel ›Bild und Perspektive‹, S. 117–132). Im vorliegenden Aufsatz wird das Bild hingegen als ein diskursives Moment verstanden, das durch die Narration geschaffen wird und somit Produkt eines narrativen Diskurses ist. Mit dem Begriff ›Bild‹ wird somit ein selbstreflexives Moment der Metanarration bezeichnet, anhand dessen die Kopplung von Struktur und Sinn in der Narration dargestellt werden kann.
  • 17. Vgl. Markus Winkler: »Die Ästhetik des Nützlichen in ›Pfisters Mühle‹. Problemgeschichtliche Überlegungen zu Wilhelm Raabes Erzählung«. In: Heinrich Detering u. Ulf-Michael Schneider (Hg.): Jahrbuch der Raabe-Gesellschaft. Berlin, New York 1997, S. 18–39. Winkler weist auf die mehrdimensionale Realisierung einer Ästhetik in Pfisters Mühle hin (als Beispiel ist das bildliche Sprechen oder das explizit genannte Konzept einer ästhetischen Erziehung genannt, vgl. S. 27) und schildert den Zusammenhang mit einer poetologischen Reflexion im Sinne einer narrativen Selbstreflexion. Die Visualisierung einer Ästhetik und zugleich deren Problematisierung, die anhand des Gegenpols ›Nutzen‹ verhandelt wird, findet in einer narrativen Selbstreflexion Niederschlag. Die »naturalistische Unverblümtheit« (S. 39) des Textes dient folglich dazu, durch eine implizite Darstellung einer Ästhetik des Nützlichen die Möglichkeit einer Ästhetik überhaupt zur Debatte zu stellen.
  • 18. Einen anderen Weg beschreitet Eberhard Rohse in seinem soeben erschienenen Artikel »Bild als Text − Text als Bild. Bildzitate in Erzähltexten Wilhelm Raabes«. In: Gabriele Henkel (Hg.): Wilhelm Raabe. Das zeichnerische Werk. Hildesheim u.a. 2010, S. 93–125. Rohse benennt werkspezifisch die Gemälde, die bestimmten Textstellen zugrunde liegen und zeigt anhand von Beispielen das Spektrum der Darstellung und Nutzbarmachung der Relation von Narration und Bild auf. Als Beispiel nennt er die narrativ getätigte Umformung bestimmter Elemente eines Gemäldes wie das Aufgreifen und Abändern einer Bildinschrift (vgl. S. 121). Die Bildrezeption Raabes bildet dabei die Ausgangslage von Rohses Argumentation, während im vorliegenden Aufsatz auf Bildtypen (oder auf das Bild als Form) fokussiert wird.
  • 19. Diese Frage wird in mehreren Forschungsarbeiten zu Pfisters Mühle angesprochen, wobei die Frage als Motiv und weniger als Strukturmoment (und Teil einer narrativen Inszenierung einer bimedialen Selbstreflexion) eine Behandlung erfährt, stellvertretend vgl. Göttsche: Zeitreflexion (Anm. 8), S. 106, oder Winkler: »Ästhetik« (Anm. 17), S. 23f.
  • 20. Vgl. Gerhard Kaiser: »Der Totenfluß als Industriekloake. Über den Zusammenhang von Ökonomie und Phantasie in ›Pfisters Mühle‹ von Wilhelm Raabe«. In: Ders.: Mutter Natur und die Dampfmaschine. Ein literarischer Mythos im Rückbezug auf Antike und Christentum. Freiburg i. Br. 1991, S. 81–107.
  • 21. Vgl. Göttsche: Zeitreflexion (Anm. 8), S. 99–110.
  • 22. Titzmann: »›Grenzziehung‹« (Anm. 1), S. 190.
  • 23. Winkler verweist auf das Spannungsmoment der Kommentierung des Schreib und Erzählprozesses durch die Frau, worin er die Darstellung der Pole einer Selbstreflexion zu erkennen glaubt. In der Kopplung von Kommentar und Kommentiertem ist wiederum das Begriffspaar ›Ästhetik‹ und ›Nützliches‹ zu erkennen, das als wechselseitiges Verhältnis in der Form einer Spannung dargestellt ist (vgl. Winkler: »Ästhetik« [Anm. 17], S. 24ff.). Zirbs Überlegungen weisen in eine ähnliche Richtung, wenn er die Parallelgliederung in Kapitel und Blätter als den Diskurs von Mündlichkeit und Schriftlichkeit wiedergebend bestimmt (vgl. Zirbs: Strukturen [Anm. 12], S. 88.).
  • 24. Dass der Typus ›Emblem‹ einer Entwicklung unterliegt, d.h. keine klare und ahistorische Zuordnung einer Funktion auf einen der (traditionellerweise) drei Bestandteile vorgenommen werden kann, ist nachzulesen bei: Arthur Henkel u. Albrecht Schöne (Hg.): Handbuch zur Sinnbildkunst des XVI. und XVII. Jahrhunderts. Stuttgart 1967.
  • 25. Eine operable Einteilung der Sekundärliteratur zu Pfisters Mühle nimmt Harald Tausch vor, indem er drei unterschiedliche Interpretationslinien ausmacht: eine positivistische, eine motivgeschichtliche und eine die Erinnerung fokussierende Forschungsrichtung, wobei sein eigener Ansatz als immanente Kritik der dritten Position auftritt (vgl. Harald Tausch: »Wasser auf Pfisters Mühle. Zu Raabes humoristischem Erinnern der Dinge«. In: Sabine Schneider u. Barbara Hunfeld [Hg.]: Die Dinge und die Zeichen. Dimensionen des Realistischen in der Erzählliteratur des 19. Jahrhunderts. Würzburg 2008, S. 175–211, hier S. 186ff.). Er zeigt anhand von fünf konkreten Zitaten, inwiefern die Zitate (die durch Unsicherheit suggerierende Signalworte eingeleitet oder kommentiert werden) die Unzuverlässigkeit des (Binnen-) Erzählers Eberhard unterstreichen, indem sie allesamt etwas Wichtiges verschweigen oder aussparen (vgl. S. 197–205).
  • 26. Auf diese Doppelheit macht Wilfried Thürmer aufmerksam, wenn er die »Figur der Distanznahme« (Wilfried Thürmer: »Die Schönheit des Vergehens. Zur Produktivität des Negativen in Wilhelm Raabes Erzählung ›Pfisters Mühle‹ 1884«. In: Joseph Daum u. Hans-Jürgen Schrader [Hg.]: Jahrbuch der Raabe-Gesellschaft. Berlin, New York 1984, S. 68–86, hier S. 69) als Möglichkeitsbedingung und als konstitutives Moment der Erzählung herausstreicht. Am Beispiel des Erzählprogramms ›Idylle‹ zeigt er, dass die Idylle erst aufgrund einer Negation des ihr eingeschriebenen Nicht-Idyllischen sichtbar wird und das Schöne erst im Vergehen erfahren werden kann (vgl. S. 86). Auch wenn Thürmer auf den Zusammenhang von Bild und Narration hinweist, indem er letztere als eine Bilder schaffende Negation (bzw. Negationsarbeit) versteht (vgl. S. 73), liegt bei ihm der Fokus auf der in der Textgestaltung nachgebildeten Entdinglichung, die sowohl Bilder als auch Gegenstände umfasst.
  • 27. Vgl. Zirbs: Strukturen (Anm. 12), S. 93, und Alexander Honold: »Geist, Gift und Geschäft in Pfisters Mühle«. In: Hubert Winkels (Hg.): Katja Lange-Müller trifft Wilhelm Raabe. Der Wilhelm Raabe-Literaturpreis. Das Ereignis und die Folgen. Göttingen 2009, S. 32–69, hier S. 38f.
  • 28. Thürmer hält als Quintessenz seiner Studie fest, dass Pfisters Mühle den ›Realismus‹ als ein dialektisches Produkt ›zeigt‹. Vgl. Thürmer: »Schönheit« (Anm. 26), S. 86.
  • 29. Vgl. Almut Drummer: Verstellte Sicht. Erinnerndes Erzählen als Konstruktion von Ablenkung in späten Schriften Wilhelm Raabes. Würzburg 2005, S. 57. Drummer charakterisiert Raabes Publikum (im Unterschied zu Fontanes) als eines, das trivialere Literatur bevorzugt, und zeigt auf, inwiefern Raabe dies aufgreift, um das Publikum durch sein Erzählen strategisch zu überfordern. Nathali Jückstock-Kiessling stellt ebenfalls eine Tendenz zur Trivialisierung in Raabes frühen Texten fest. Dies sei, so Jückstock-Kiessling, den Prämissen des Literaturbetriebs geschuldet und dem Versuch, eine narrative Kritik an der Literaturkonzeption des programmatischen Realismus zu vollziehen, nicht abkömmlich, wie sich in Raabes hochkomplexen Spätwerk bestätigt. Vgl. Nathali Jückstock-Kiessling: »First contact: Wilhelm Raabes Frühwerk und der Realismus«. In: Heinz Ludwig Arnold (Hg.): Text + Kritik. Zeitschrift für Literatur 172 (2006), S. 8–26, hier S. 23f. Hans Vilmar Geppert fasst dies in seiner Studie Der realistische Weg eine Stufe allgemeiner, indem er auf den im Erzählen des 19. Jahrhunderts aufkommenden Fokus auf die Zeichenprozesse, die sich formieren, verändern und verbrauchen, und die damit einhergehenden Brüche und Aporien hinweist. Gemäß Geppert bringt Raabe dies im Spätwerk in der Form einer intertextuellen (Selbst-) Zitation und Kommentierung zur Darstellung, wodurch er die Wirklichkeitsgenese durch die Sprache narrativ aufgreift sowie nach- und mitvollzieht. Vgl. Hans Vilmar Geppert: Der realistische Weg. Formen pragmatischen Erzählens bei Balzac, Dickens, Hardy, Keller, Raabe und anderen Autoren des 19. Jahrhunderts. Tübingen 1994, S. 80.
  • 30. Vgl. Winkler: »Ästhetik« (Anm. 17), S. 26f.
  • 31. Vgl. auch Jahraus: »Erzählen« (Anm. 15), S. 235.
  • 32. Vgl. Zirbs: Strukturen (Anm. 12), S. 106.
  • 33. Inwiefern die Rede von der im Realismus virulenten Modernität eine methodische Paradoxie mit sich führt, ist bei Simon nachzulesen, der an seine exemplarischen Textanalysen anschließend deren problematische Ausgangsbedingungen benennt (vgl. Simon »Übergänge« [Anm. 13], S. 222). Diese Probleme ernst nehmend wird in der vorliegenden Textanalyse hinsichtlich Pfisters Mühle von einer in der Retrospektive angelegten Modernität gesprochen, d.h. die Nachträglichkeit des Erzählens fokussiert. Die mit einer strukturellen Retrospektive einhergehende Kategorie bildet das Alterswerk; eine Kategorie, die gemäß Simon die Prämissen des literarischen Realismus aushebelt. Vgl. Ralf Simon: »Gespenster des Realismus. Moderne-Konstellationen in den Spätwerken von Raabe, Stifter und C. F. Meyer«. In: Gerhard von Graevenitz (Hg.): Konzepte der Moderne. Stuttgart, Weimar 1999, S. 202–233, hier S. 28f.
  • 34. Rohse kann aufzeigen, dass sich das Verhältnis von Früh- und Spätwerk auch an der Verwendung der Bildzitate, denen unterschiedliche Funktionen zukommen, reflektieren lässt (vgl. Rohse »Bild« [Anm. 18], S. 110). Er hält zudem fest, dass keine modernen Gemälde zitiert werden und eine Diskrepanz von nahezu modernem Erzählen und traditionellen Bildern besteht (vgl. S. 124).
  • 35. Wetzel: »Raabe« (Anm. 13), S. 48.
  • 36. Ebd., S. 50.
  • 37. Honold: »Geist« (Anm. 27), S. 66.
  • 38. Vgl. Günter Bayerls Aufsatz »Herrn Pfisters und anderer Leute Mühlen. Das Verhältnis von Mensch, Technik und Umwelt im Spiegel eines literarischen Topos«. In: Harro Segeberg (Hg.): Technik in der Literatur. Ein Forschungsüberblick und zwölf Aufsätze. Frankfurt/M. 1987, S. 51–101, in dem er die Facetten des literarischen Motivs ›Mühle‹ ausführt, indem er es an die lebensweltliche Bedeutung der Mühlen rückbindet.
  • 39. Vgl. Christoph Hamann: »›Wirklich Wetter reden.‹ Selbstreferentielles Erzählen bei Wilhelm Raabe und Wolf Haas«. In: Hubert Winkels (Hg.): Wolf Haas trifft Wilhelm Raabe. Der Wilhelm Raabe-Literaturpreis. Das Ereignis und die Folgen. Göttingen 2007, S. 72–99. Hamann verweist auf die Tradition des selbstreflexiven Erzählens, das er als Beobachtung zweiter Ordnung (das mimetische Erzählen als Beobachtung erster Ordnung) ausweist, und auf dessen Spezifik in der Romantik – als »Visibilisierung ihres Mediums« (S. 73). Davon grenzt er das selbstreflexive Erzählen im Realismus ab, das als Beobachtung dritter Ordnung so verfährt, dass das selbstreflexive Erzählen nicht als solches zu erkennen ist, d.h. die Beobachtung zweiter Ordnung als Beobachtung erster Ordnung vorgeführt wird (vgl. S. 86). Dieser paradoxe Versuch zeichnet die in der Programmatik des poetischen Realismus geforderte idealistisch-realistische Literatur aus, was sich in Pfisters Mühle in der Erzähleröffnung zeigt, wo durch die Kritik anderer (Repräsentations-) Medien die Medialität (zumindest auf der Ebene der Binnenerzählung) kaschiert werden soll.
  • 40. Wie Winkler anhand einer narrativen Darstellung einer Ästhetik des Nützlichen zeigen kann, wird das Verhältnis vom Schönen und Nützlichen, d.h. das Postulat der europäischen Aufklärung, dass das Schöne das Nützliche impliziere, umgekehrt. Vgl. Winkler: »Ästhetik« (Anm. 17), S. 34.
  • 41. Dies ist zu verstehen im Sinne von Wetzels Diktum zu Raabes Erzählen, »vertraute Wege neu zu beschreiten« (Wetzel: »Raabe« [Anm. 13], S. 50) oder von Eckhoffs Beobachtung, dass die Erzählung die moderne Zeit in die Zeitlosigkeit zu überführen versucht (vgl. Eckhoff: »Schwefelwasserstoff« [Anm. 1], S. 167), d.h. Zeitkritik als Zeitreflexion betrieben wird und der Text zeitlos aktuell bleibt.
  • 42. Vgl. dazu das Kapitel »Bildkritische Literaturwissenschaft« in Ralf Simon: Der poetische Text als Bildkritik. München 2009, S. 277–300, und den kürzlich erschienenen Aufsatz von Ralf Simon: »Was ist: ›Bildkritische Literaturwissenschaft‹?«. In: Zeitschrift für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft 55.1 (2010), S. 49–68.
  • 43. Dieses elegische Gedicht bildet das Beispiel, anhand dessen Honold die Überkreuzung von idyllischem und satirischem / elegischem Gattungsmuster in Pfisters Mühle aufzeigt. Nicht nur der Gegenstand (die Mühle als Relikt erster Technisierungsschübe), sondern auch dessen Beschreibung (bzw. Beschreibungsfolie) ist bereits gebrochen. Vgl. Honold: »Geist« (Anm. 27), S. 46.
  • 44. Ort spricht von »semiotischen Gegenstrategien«. Claus-Michael Ort: Zeichen und Zeit. Probleme des literarischen Realismus. Tübingen 1998, S. 2.

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