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Digitalisiertes Töten

Zur Poetik und Epistemologie der Drohne in Tom Hillenbrands dystopischem Kriminalroman Drohnenland

In Tom Hillenbrands dystopischem Kriminalroman Drohnenland sind Drohnen allgegenwärtig: Als Pizzakuriere schwirren sie unentwegt durch die Straßen von Brüssel und liefern Bestellungen aus; als Mietdrohnen spähen sie potentiellen Baugrund und Wohnflächen für Immobilienkonzerne aus; und nicht zuletzt werden sie als unverzichtbare Instrumente in der Polizeiarbeit eingesetzt, die mittels einer umfassenden Überwachung des öffentlichen und privaten Raumes die Brüsseler Innenstadt und ihre Bürger bis ins kleinste Detail hinein durchleuchten und dokumentieren sollen.

Drohnen gehören in Hillenbrands Roman derart fest zum Bestandteil des alltäglichen Lebens, dass ihre Omnipräsenz nicht einmal einer einführenden Erklärung bedarf. Ohne zuerst mühevoll eine Vorgeschichte zu rekonstruieren, setzt der Roman so direkt in medias res ein und konfrontiert den Leser mit den Ermittlungsarbeiten in dem Mordfall des Regierungsabgeordneten Vittorio Pazzi kurz vor den Parlamentswahlen in dem fiktiven Staatenkonglomerat die Union. Die mit dem Fall beauftragten Ermittler Kommissar Aart Westerhuizen und seine Datenanalystin Ava Bittmann sollen mit Hilfe des Polizeicomputers, der den nicht wenig anspielungsreichen Namen TERESIAS1 trägt, den Täter im Fall Pazzi ausfindig machen und müssen sich dabei auf eine Odyssee durch künstliche Welten begeben. Denn in Hillenbrands Roman hat eine digitale Forensik bereits jegliche konventionellen Techniken in der Verbrechensermittlung abgelöst: Tatorte werden von Drohnen eingescannt und mit virtuell begehbaren Spiegelungen nachgestellt, die der Kommissar ein wenig wie in den Matrix Filmen der Wachowski-Geschwister nach Belieben betreten kann, um darin seine Ermittlungen durchzuführen, ohne selbst physisch zugegen zu sein.

Auch wenn Hillenbrands Roman sich typologisch der Gattung des Kriminalromans annähert und dessen wesentliche Elemente wiedergibt, die in der Rätselhaftigkeit des Verbrechens, der semiotischen Spurensuche, der Fahndung nach dem Täter sowie der Rekonstruktion des Tathergangs und der Überführung des Mörders durch den Kommissar gegen Ende des Romans2 zum Ausdruck kommen, so nimmt er doch gegenüber einer allzu strengen Auslegung der Handlung als traditionelle Kriminalgeschichte einige nicht unbedeutende Erweiterungen vor. Neben den genretypischen Merkmalen lassen sich schließlich auch Elemente ausmachen, die ebenso eine Einschätzung als Politthriller oder eines Überwachungsromans im Orwellschen Stil rechtfertigen.

Dass der Roman sich somit nicht auf eine eindeutige Gattung festlegen lässt, berührt – trotz des paratextuellen Vermerks Kriminalroman, der den Leser somit programmatisch auf eine falsche Fährte lockt – im Wesentlichen eine ganz grundlegende Pointe. Diese besteht in einer konstitutiven Unbestimmtheit, die der Roman konsequent auf allen Ebenen durchspielt. Damit greift Hillenbrand ein wesentliches Strukturelement auf, das der französische Philosoph Gregoire Chamayou als Merkmal der Drohne bzw. des Drohnenkrieges charakterisiert hat – und das wie sich in der nachfolgenden Analyse herausstellen wird, zu einem nicht unbedeutenden Teil auch den narrativen Aufbau des Romans vorgibt. Um diese enge Verflechtung zwischen Drohnen(krieg) und Romanhandlung transparent zu machen, wird der Artikel deshalb folgende drei Schwerpunkte beleuchten: In einem ersten Schritt soll zunächst der Fokus auf den Typus der Waffe gelegt werden und sich dabei im Wesentlichen an der Definition der Drohne als ein »unidentifiziertes Gewaltobjekt«3 orientieren. Ihrer Phänomenologie und Struktur nach sind Drohnen hybrid – sie bestehen aus unterschiedlichen Medien, einem Flugkörper, einer Kamera, einer Fernsteuerung, sind verbunden mit einer Software und haben, wenn es sich nicht um zivile Geräte handelt, noch zusätzliche eine Hellfire Rakete4 an Bord. Als solche lassen sie sich nur schwer in bereits bekannte Register einordnen – ein Umstand, aus dem der Roman eine Epistemologie des Nichtexakten entwickelt, einem Nicht-Wissen, um das es im Folgenden noch gehen wird.5

In einem zweiten Schritt wird der Schwerpunkt auf das Verhältnis zwischen dieser neuartigen Waffe und ihren Subjekten verlagert. Entlang der Dichotomie von autonomer und heteronomer Steuerung soll dabei in den Fokus gerückt werden, wie die Drohnentechnologie an einer Abschaffung des Subjekts aus dem Wirkungsbereich der politischen bzw. demokratischen Entscheidung arbeitet. In Anlehnung an Michel Foucault soll dabei der Begriff Technologien der Entsubjektivierung als Konzept vorgeschlagen werden, das im Roman im komplizierten Verhältnis zwischen Mensch und Maschine (bzw. Kommissar und Datenanalystin vs. Polizeicomputer) zum Ausdruck kommt. Daran anknüpfend wird schließlich der dritte und letzte Teil der Beobachtung folgen, wie sich aus dem Roman eine Epistemologie und Poetik der Drohne ableiten lässt – die in der vorliegenden Untersuchung auf eine ihr inhärente politische Semantik hin befragt werden soll.

1. Das Projektil in Pazzis Leiche: Die Ballistik als neues Paradigma der Verbrechensaufklärung?

Hillenbrands Roman setzt mit der Inspektion einer Leiche in der »flandrischen Marsch«6 ein. Die Exteriotität des Tatorts, der gerade nicht in der gut überwachten Brüsseler Innenstadt situiert ist, sondern an den Rändern der Stadt, über die höchstens »jedes Schaltjahr eine Katasterdrohne« (D, S. 10) kreist, macht bereits deutlich, dass die Ermittler sich hier an einen schwer zugänglichen Fall heranzutasten haben. Noch bevor Kommissar Westerhuizen den Tatort erreicht, wird er von dem Polizeicomputer TERESIAS über die Identität des Opfers informiert: »Den biometrischen Scans und der Signatur zufolge heißt der Tote Vittorio Pazzi, ist siebenundvierzig Jahre alt, Norditaliener, wohnhaft in Brüssel-Anderlecht«. (D, S. 8) Diese Information, die mittelst einer kurzen Analepse in den Roman eingerückt wird, ist der Ankunft des Kommissars am Tatort vorgelagert und erhält damit paradoxerweise eine proleptische Funktion. Mit dieser geschickt und scheinbar beiläufigen Verwirrung in der Logik der Zeitebenen korrespondiert die Struktur einer sich mehrfach überlagernden Information, die bereits der panoptischen Perspektive der Drohne nachempfunden ist. So wird etwa die Drohne nach Chamayou als »fliegendes […] Panoptikum«7 bezeichnet und macht diesem Namen in Hillenbrands Roman alle Ehre: In Form von Colibri-, Flutlicht-, und Panoptodrohnen wird die Arbeit der Spurensicherung wesentlich von den Drohnen übernommen.

Entsprechend limitiert sich die Aufgabe des Kommissars zunächst auch lediglich darauf, eine ballistische Untersuchung an dem Einschussloch in Pazzis Leiche vorzunehmen. Westerhuizens Vermutung, dass es sich diesbezüglich um »[w]as Großkalibriges« (D, S. 21) handeln muss, deckt sich wenig später mit der Auswertung seiner Datenanalystin Ava Bittmann zu dem Typus der Mordwaffe: Es handelt sich um »eine Jericho 42C. Israelisches Fabrikat«, ein Sturmgewehr das ausschließlich von »Militär und Polizei« (D, S. 21) verwendet wird und mit hülsenlosen Projektilen schießt. Damit spielt der Roman nicht nur auf eine für die Drohne typische Vermengung der beiden Bereiche von Polizei und Militär an, die vor allem gegen Ende des Romans als Allusion auf die Suspension der Gewaltenteilung virulent wird – die Inspektion der Waffe durch die beiden Ermittler wirft zudem auch einiges Licht auf Westerhuizens Vergangenheit, die mit der Genese und Geschichte des Staatenkonglomerats zusammentrifft. So erfährt man etwa, Westerhuizen habe als junger Soldat im Auftrag der Union mit einem solchen Sturmgewehr während des Solarkrieges in der ersten Marokkokrise auf Terroristen geschossen. Ebenso wie gegenwärtig »die Kohäsionskräfte im Süden« (D, S. 21) und die Spezialeinheit Europol mit einem solchen Gerät ausgestattet werden, eben jener Institution, der auch Westerhuizen und Bittmann angehören.

Wenngleich sich beim eifrigen Durchforsten der Datenbank kein Sturmgewehr auffinden lässt, das zu der »Signatur dieser Waffe […] passt« (D, S. 21) und Westerhuizen infolgedessen der Ballistik attestiert, »keine exakte Wissenschaft« (D, S. 21) zu sein, so bezieht sich gerade dieses Attribut des Nichtexakten auf die epistemische Situation des Romans. Zunächst muss allerdings festgehalten werden, dass entgegen der Einschätzung des Kommissars hier bereits sehr früh ein Hinweis gelegt wird, wer für den Tod Pazzis verantwortlich ist und damit sehr wohl Gewissheit über den Täter herrscht. Unklar bleibt jedoch das Motiv.

In einer mehrfachen Verweisstruktur – angefangen bei dem durch ein großkalibriges Projektil verunstalteten Schädel Pazzis, der auf die hülsenlose Munition einer Jericho 42C verweist, an der wiederum die Geschichte der Union und damit auch ein Stück von Westerhuizens Vergangenheit in die Romanhandlung durchsickert – zeigt sich die ballistische Untersuchung dennoch besonders aufschlussreich: Dass die Signatur sich nicht einer registrierten Waffe zuordnen lässt, hinterlässt auf der Ebene der Zeichen zwar eine Leerstelle, die, und dass ist entscheidend, im Roman allerdings alles andere als referenzlos bleibt. Vielmehr kehrt darin eines seiner Grundmuster wieder, das gerade in jener fragilen Zustandsgröße des Unscharfen und Nichtexakten angezeigt und den Roman hindurch in den unterschiedlichsten Abstufungen variiert wird. Denn Unklarheit und Nicht-Wissen herrschen in Hillenbrands Roman nicht nur in Hinblick auf den Täter und das Tatmotiv, sondern sind, wie es sich dem Leser zu einem fortgeschrittenen Zeitpunkt erschließt, zugleich das Motiv der Tat selbst. Die strukturelle Übereinstimmung zwischen der Perspektive des Kommissars und seiner Fahndung nach dem Täter einerseits sowie die des Mörders und dem Planen der Tat andererseits, steht somit ganz im Zeichen eines Nicht-Wissens, das hier bereits in seiner handlungskonstitutiven Tragweite vordringlich wird: Es wird sich zeigen, dass die Personenfahndung, die der Kommissar mithilfe seiner Datenanalystin und dem Polizeicomputer TERESIAS unternimmt, auch ebenjener Technik entspricht, mit deren Hilfe der Täter sein Opfer ausfindig gemacht hat. Die Überlagerung dieser beiden Perspektiven soll hier zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufgegriffen werden.

Um zunächst noch einen Augenblick bei dem Sturmgewehr zu bleiben: Die ballistische Untersuchung, die die Jericho 42C ins Spiel bringt, zeigt, dass die Waffe nicht nur maßgeblich als narratives Element fungiert, sondern sich mit der ballistischen Auswertung des Projektils durch den Polizeicomputer TERESIAS zugleich auch ein neues Format in der Spurensicherung ankündigt: Es ist dies die Signatur einer digitalen Aufklärungsarbeit, die bereits wesentlich von Dingen und nicht mehr von Menschen verrichtet wird und im folgenden Abschnitt entsprechend im Verhältnis von Mensch und Maschine (Subjekt und Algorithmus) diskutiert werden soll.

2. Technologien der Entsubjektivierung – Mensch vs. Golem

In der gegenwärtigen Debatte über Drohneneinsätze steht die Frage danach, ob, und daran anschließend, vor allem wie sich in Anbetracht der Verwendung digitaler Technologien das Verhältnis zwischen Mensch und Maschine entlang der Dichotomie von heteronomer und autonomer Steuerung (neu) bestimmen lässt. Diese Problemkonstellation ist freilich nicht erst im Zeitalter der Digitalisierung und Informationstechnologie virulent geworden, sondern ein Strukturelement, das die Moderne seit Anbeginn durchzieht.8

Ein Begriff, der in diesem Kontext immer wieder als richtungsweisend herangezogen wird, findet sich im Spätwerk Michel Foucaults in jenem Aufsatz, in dem er sich den Technologien des Selbst9 zuwendet. Foucault zufolge werden damit Techniken adressiert, »die dem Einzelnen ermöglichen, aus eigener Kraft oder mit Hilfe anderer eine Reihe von Operationen an seinem Körper oder seiner Seele, seinem Denken seinem Verhalten und seiner Existenzweise vorzunehmen mit dem Ziel sich so zu verändern«,10 dass aus ihnen – zumindest im Zeitalter moderner, aufgeklärter Demokratien – freie und mündige Subjekte entstehen. Folgt man dieser Einschätzung Foucaults, so zeigt sich, dass heteronome und autonome Steuerung von Subjekten sich überhaupt nicht trennscharf voneinander abgrenzen lassen, sondern vielmehr als die zwei Seiten derselben Medaille anzusehen sind, nach der Struktur einer Möbius-Schleife, in der die autonome Selbstermächtigung nichts als ein Effekt der sie umgebenden und auf sie einwirkenden Machtsysteme darstellt.11 Foucaults Definition des Subjekts, wie sie sich der obigen Beschreibung entnehmen lässt, geht also nicht von einem steilen hierarchischen Gefälle zwischen Macht und Subjekt aus, sondern, um in der Semantik Foucaults zu bleiben, von einer Art intermedialem Selbst, das buchstäblich zwischen diskursiven und nicht zuletzt medialen Praktiken situiert ist, die dieses ermächtigen, sich selbst zu ermächtigen.

Gerade die dezentrale Konzeptualisierung von Subjekt und seinem Verhältnis zur Macht12 durch Foucault – die sich nicht zuletzt auch in seinem Term des Dispositivs als eine »komplexe strategische Funktion«13 niederschlägt – erweist sich als besonders instruktiv, um die sich daraus ableitende Semantik des Netzes zur Beschreibung digitaler Medien und ihren Subjekten im informationstechnologischen Zeitalter heranzuziehen. Das Verhältnis zwischen den beiden Instanzen von Mensch und Maschine einzufangen, heißt nicht zuletzt, ein stückweit die Verknüpfung von Subjekten und Algorithmen zu beschreiben. Gerade bei Drohneneinsätzen nimmt sich diese Beziehung als überaus problematisch aus und gibt die dezentrale Struktur zwischen Mensch und Maschine zugunsten einer Priorität der Algorithmen preis. Ohne das Funktionieren dieser komplexen mathematischen Formeln erklären zu können, die unter dem Titel Algorithmus versammelt werden, soll an dieser Stelle vielmehr nur der Versuch unternommen werden, die sich bereits habitualisierte Interaktion zwischen Mensch und Algorithmus zu durchbrechen und auf den hochgradig problematischen Status hinzuweisen, den sie vor allem bei der »Aufstandsbekämpfung aus der Luft«14 bzw., auf Hillenbrands Roman gemünzt, in der Verbrechensaufklärung einnehmen. Denn Drohnen – und damit haben sie es zu trauriger Berühmtheit gebracht – funktionieren nach einem automatischen Erkennungssystem, in dem die Definition, wer als potentieller Attentäter qualifiziert werden soll, gänzlich der Arbeit eines Computers überlassen wird.15

Damit soll keineswegs geleugnet werden, dass Algorithmen nicht auch eine entlastende Funktion zukommt wie es etwa Christoph Drösser, Wissenschaftsjournalist und studierter Mathematiker, in dem kürzlich erschienen Sachbuch Total berechenbar? Wenn Algorithmen für uns entscheiden, unterstreicht.16 Doch Hillenbrands Roman interessiert sich, ganz seinem dystopischen Charakter nach, vielmehr für die Falltüren und Schattenseiten in der Mensch-Algorithmus Relation, die im Kontext des Drohnenkrieges allerdings droht zu dem zu werden, was sich mit dem Kriegstheoretiker Carl von Clausewitz als »Algebra des Handelns«17 beschreiben lässt, nämlich ein rationales und affektloses Kalkül, bei dem kein Mensch mehr zugegen ist. Denn Drohnen klammern den anthropologischen Faktor zugunsten einer heteronomen Steuerung durch Algorithmen konsequent aus und unterbrechen damit die dezentrale Struktur im Verhältnis zwischen Mensch und Maschine, wie es weiter oben noch als Chiffre für das digitale Zeitalter eingeführt wurde. Indem Drohnen nämlich das Privileg der Entscheidung18 aus dem Wirkungsbereich des Menschen ausgrenzen und der automatischen Befehlsgewalt eines Computers überantworten, stehen sie paradigmatisch für eine Technologie der Entsubjektivierung wie sie hier in Anlehnung an Foucault vorgeschlagen werden soll.

Das Verhältnis zwischen Mensch und Algorithmus wird in Hillenbrands Roman im Widerstreit zwischen den beiden Protagonisten und dem Polizeicomputer TERESIAS inszeniert, von dessen neuer Generation es heißt, sie hätte die Kapazität, durch »neuartige Semantikalgorithmen« (D, S. 56) sich problemlos »mit in der Datenforensik ungeschulten Personen« (D, S. 57) unterhalten zu können und würden damit über die Fähigkeit verfügen, Expertenwissen in eine alltagsprachliche Form zu bringen, ebenso wie seine »prädiktiven Fähigkeiten erheblich verbessert« (D, S. 57) wurden und er bereits habitualisierte Bewegungsmuster vorwegnehmen kann. Jedoch sind weder Datenanalystin noch Kommissar dazu bereit, ihm einen subjektähnlichen Status beizumessen. Entsprechend greift der Roman deshalb auch auf eine archaische Figur zurück, die der hebräischen Mystik – genauer noch einem kabbalistischen Zeichenritual – entspringt, um den vorbehaltlich instrumentellen Charakter im Verhältnis von Mensch und Drohne einzufangen, den Golem.

So heißt es von Westerhuizens Datenanalystin über den Polizeicomputer TERESIAS, der sich in einer Entwicklungsstufe bereits kurz vor der künstlichen Intelligenz befindet, und ihre Arbeit somit in Zukunft überflüssig erscheinen lässt, er sei

wie der Golem aus der jüdischen Mythologie. […] Golem ist Hebräisch, es bedeutet ›ungeformt‹. Im Sefer Jetzira, im Buch der Schöpfung, da gibt es ein kabbalistisches Ritual, mit dem durch bestimmte Kombinationen von Buchstaben und Zahlen unbelebte Materie zum Leben erweckt werden kann. […] es ist eine gute Metapher. Buchstaben und Zahlen, also Bits und Bytes, zum Leben erwecken, ist genau das, was die Programmierer von hoch entwickelten Rechnern wie TERESIAS, […] gerne erreichen würden. (D, S. 101f.)

In der Figur des Golems, die von der Datenanalystin Ava Bittmann als Vergleich für das Verhältnis zwischen Mensch und Maschine aufgerufen wird, wird die Problematik der Fremdsteuerung durch Algorithmen auf den Punkt gebracht. Diese vom Rabbi Löw zum Leben erweckte Lehmfigur kündet von einem alten Traum der Menschheit, sich selbst an den Platz des Schöpfers zu setzen und unbelebte Materie zum Leben zu erwecken. Ein Topos, der immer wieder den Stoff für Romane bereitgestellt hat. 19 Begreift man nun den in der Golem-Parabel kondensierten Wunsch, tote Materie zu beleben und in den Dienst der Menschheit zu stellen als eine Metapher für Technik, kann der Golem auch als der Prototyp einer Drohne gewertet werden, eine durch Zahlen und Buchstaben, bzw. Algorithmen belebte Materie, die ihrem Nutzer (bzw. ihrem Herrn und Meister) Entlastung verspricht.

Auch wenn in Drohnenland nicht die ganze Geschichte des Rabbi Löw und seiner Schöpfung, dem Golem, nacherzählt wird, scheint gerade der fehlende Teil zugleich den Subtext für den Fortgang des Romans zu liefern: Bekanntlich gerät in einer der Interpretationen des hebräischen Gleichnisses durch die Nachlässigkeit des Rabbiners die Schöpfung aus dem Kontrollbereich ihres Schöpfers und wird zu einem von Vernichtungssucht getriebenen Monster, das sich nahezu perfekt auf das Beziehungsgeflecht zwischen Mensch und Drohne übertragen lässt: Ursprünglich von Informatikern und  Militärs entwickelt, haben auch Drohnen einen bzw. mehrere Schöpfer, die aber, wie bereits erwähnt wurde, durch die Arbeit von Algorithmen ersetzt werden können. Die Verselbstständigung des ›Golems Drohne‹ durch eine der Kabbalah ähnliche Programmiersprache erweist sich in nuce als eine ebensolche Technologie der Entsubjektivierung wie sie weiter oben vorgeschlagen wurde. Der Golem eignet sich somit auch als eine Metapher, jene Techniken zu bestimmen, die den Menschen ermächtigen, sich selbst zu entmächtigen, ein Umstand der in Hillenbrands Roman durchwegs problematisiert wird.

3. Lebensmusteranalyse: und die blinden Flecken der Narration

Doch welche politischen Konsequenzen ergeben sich daraus, wenn ein Regierungsabgeordneter wie Vittorio Pazzi in den Fokus der Spezialeinheit der Union gerät? Ein Blick auf die Fahndung nach dem Täter kann helfen diese Frage aufzuhellen: Bei ihrer Spurensuche werden Kommissar und Datenanalystin vom Polizeicomputer TERESIAS dabei zunächst mit einer Fülle an Daten über Pazzis Leben beliefert, die sie an unterschiedliche Instanzen verweisen, welche alles in diesen Fall verwickelt sein könnten, was Anlass zu den verschiedensten Theorien über den Täter und das Tatmotiv gibt. Von näherer Bedeutung sind dabei die von TERESIAS bereitgestellten Daten zu Pazzis Lebensführung: Es handelt sich hierbei um verhaltens- oder aktivitätsbasierte Daten, die mittels einer »Auswertung von Sprachduktus, Semantik, Musikgeschmack, frequentierten Orten und weiteren Datenquellen« nicht nur auf die »homosexuelle Neigung« (D, S. 15) Pazzis schließen lassen und so in einen seiner intimsten und privatesten Bereiche vordringen, sondern auch alle seine übrigen, ungleich flüchtigeren Aktivitäten registriert und abgespeichert haben. So verdichten sich abwechselnd die Beweise über Pazzis Verstrickungen mit dem vermeintlich korrupten Rüstungskonzern TallCon, einem Drohnenhersteller, der Unionsabgeordnete mit hohen Provisionen entschädigt haben soll, um sich eine uneingeschränkte Lizenz für die Herstellung von zivilen Drohnen und Hightechgeräten zu sichern, ebenso wie ein kurzer Verdacht sich gegen die Britsiks richtet – eine Kreuzung von Britischer und Russischer Mafia, die gemeinsam einen professionellen Hackerring betreiben.

Diese »Bewegungsdaten«, die TERESIAS über die Drohnenkameras empfängt, folgen dem Prinzip der Lebensmusteranalyse wie sie gegenwärtig als eine der Errungenschaften von Big Data gehandelt wird. Konkret handelt es sich dabei um »dreidimensionale Lebensläufe, […] mit ihren Zyklen und regelmäßigen Wegen, aber auch ihren Zufällen und Abweichungen«, die »heute eine der wichtigsten epistemischen Grundlagen der bewaffneten Überwachung«20 darstellen und auch im Roman als Instrument der »digitalen Forensik« (D, S. 15) in der Spurensuche nach dem Täter zum Einsatz kommen.

Mit der Analyse der Lebensmuster kündigt sich ein neues Format in der Spurensuche an, das nicht mehr nur durch eine nachträgliche Rekonstruktion auf den Täter schließen lässt, sondern infolge seines antizipatorischen Potenzials bereits Taten vorwegnehmen kann, die noch gar nicht begangen wurden.21 Die Analyse der Lebensmuster fußt dabei weniger auf einem Wissen, sondern vielmehr auf Vorannahmen und Spekulationen – einem Nicht-Wissen also, das lediglich eine Abweichung im Verhalten von Personen indiziert, die sich unter Umständen zu einer Bedrohung (einem Attentat etwa) auskristallisieren könnte und welcher darum vorsorglich entgegengesteuert werden muss. Diese höchst zweifelhafte Strategie gründet auf dem »precautionary principle« das »nach 9/11 zum handlungsleitenden«22 Imperativ im Kampf gegen den internationalen Terrorismus geworden ist und von dem Begriff der Prävention wesentlich durch seinen epistemisch ungesicherten Status abzugrenzen ist.23 Während Maßnahmen, die im Modus der Prävention ergriffen werden, sich auf eine bekannte, weil (statistisch) berechenbare Gefahrenlage beziehen, von der aus dann jeder weitere Schritt vom Ziel der Vermeidung motiviert wird, erscheint Präemption demgegenüber als eine Strategie, die mit dem schlechthin Unberechenbaren kalkuliert und auf eine namenlose Gefahr hin ausgerichtet ist.24

Dieses Element, das immer wieder im Kontext der Aufstandsbekämpfung durch Drohnen für kontroverse Diskussionen gesorgt hat, wird schließlich auch in die Diegese des Romans integriert: Dort allerdings dient es nicht nur der Fahndung bzw. der Rekonstruktion des Täters durch die beiden Ermittler, sondern stellt sich zugleich als das Prinzip heraus, nach dem der Täter sich sein Mordopfer ausgesucht hat: Es ist im Vorfeld ja bereits erwähnt worden, dass sich die Ermittlungsarbeiten unmittelbar vor den Parlamentswahlen der Union abspielen, die, und das ist allerdings hier noch nicht erwähnt worden, über eine neue Verfassung entscheiden sollen. Diese soll den Austritt Großbritanniens aus der Union ermöglichen, was nach bestehender Verfassung »nicht vorgesehen« (D, S. 105) ist. Man möchte meinen, dass Pazzis Entscheidung in dieser Sache – die geradezu prophetisch das aktuelle Zeitgeschehen und den tatsächlichen Austritt Großbritanniens aus der EU vorwegnimmt – aufgrund seiner Lebensmusteranalyse und nicht zuletzt seiner politischen Couleur wegen – mindestens als vorhersehbar gilt: Als Mitglied der Liberalen Partei deutet seine Entscheidung auf eine Befürwortung der neuen Verfassung hin (vgl. D, S. 406). Im Wissen um die Vorhersehbarkeit seiner Entscheidung (sowie der übrigen Unionsmitglieder) und einem damit bereits feststehenden Wahlergebnis hatte Vittorio Pazzi sich jedoch entschieden, den Entschluss auf den seine Wahl fallen wird, vielmehr den Karten, Würfeln und der I-Ging Münze zu überlassen, die nach seiner Ermordung vom Kommissar in seiner Wohnung aufgefunden wurden und zunächst völlig beziehungslos zu der übrigen Handlung standen. Hier, im letzten Teil des Romans, werden nun diese bislang stummen und rätselhaften Objekte ihrer Schweigsamkeit enthoben und zu den wichtigsten Indizien in Hinblick auf den Täter und das Motiv der Tat.

Mit dem Rekurs auf die Würfel, das Kartenspiel und die I-Ging Münze, die hier allesamt dem Symbolfeld des Schicksalshaften verknüpft werden und somit den Menschen aus dem Wirkungsbereich der souveränen Entscheidung ausgrenzen, hält der Zufall, das Kontingente und schlechthin Unberechenbare, Einzug in eine (vermeintlich) voraussehbare und durchkalkulierte Welt. Die in Pazzis Wohnung aufgefundenen Würfel, Karten und die I-Ging Münze bilden somit eine Komplementärfigur zu dem Polizeicomputer TERESIAS: Damit steht er nicht nur für die Technologien der Entsubjektivierung, sondern auch für eine Epistemologie und Poetik der Drohne, die wesentlich von einem Nicht-Wissen umlagert sind. In Hillenbrands Roman wird dieses Nicht-Wissen auf der Seite der Exekutive verortet und erhält neben seiner narrativen Funktion, die sich ganz der Fahndung nach dem Täter verschreibt und aus ständig neuen Leerstellen neue Verdachtsmomente generiert, auch eine eminent politische Semantik. Die Spezialeinheit Europol geht hier nämlich nicht gegen mögliche Attentäter, sondern gegen ihre eigenen Bürger vor und liquidiert mit der Figur Vittorio Pazzis zugleich einen ihrer demokratisch gewählten Repräsentanten. Der Mord an dem Regierungsabgeordneten wird damit lesbar als eine politische Metapher, die für eine Tendenz steht, die sich gegenwärtig am Horizont des Drohnenkrieges abzeichnet und an der Abschaffung des Subjekts aus der politischen Entscheidung arbeitet.25 Drohnenlands düstere Zukunftsfiktion zeigt damit nicht nur, wie die Privilegierung von Algorithmen in der politischen Entscheidung an den Grundfesten der demokratischen Ordnung rüttelt, sondern nimmt auch die politischen Handlungsmaximen eines Drohnenstaates vorweg: Wenn nämlich die Exekutive, im Roman vertreten durch die Spezialeinheit Europol, zum handlungsleitenden bzw. regierungstechnischen Prinzip wird, gerät die präemptive Strategie des »precautionary principle« zum Normalfall der Politik.

Literatur- und Medienverzeichnis

BRÖCKLING, Ulrich: »Dispositive der Vorbeugung: Gefahrenabwehr, Resilienz, Precaution«. In: Christopher Daase u.a. (Hg.): Sicherheitskultur. Soziale und politische Praktiken der Gefahrenabwehr. Frankfurt / M., New York, S. 93–108.

CHAMAYOU, Gregoire: Ferngesteuerte Gewalt. Eine Theorie der Drohne. Wien 2014.

CLAUSEWITZ, Carl von: Vom Kriege. Berlin 2008.

CONRAD, Maren: »Paradoxe Interaktivität. Zum Potential der Feedbackschleife als integratives Modell am Beispiel des Computerspiels«. In: Promotionskolleg Literaturtheorie als Theorie der Gesellschaft (Hg.): Literatur. Macht. Gesellschaft. Heidelberg 2015, S. 79–101.

DRÖSSER, Christoph: Total berechenbar? Wenn Algorithmen für uns entscheiden. München 2016.

FOUCAULT, Michel: Technologien des Selbst. Frankfurt / M. 1993.

FOUCAULT, Michel: Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses. Frankfurt / M. 1977.

FOUCAULT, Michel: Dispositive der Macht. Berlin 1978.

HILLENBRAND, Tom: Drohnenland. Köln 2014.

KOCH Lars, Tobias Nanz und Johannes Pause: »Imaginationen der Störung. Ein Konzept«. In: Behemoth. A Journal on Civilisation 9.1 (2016), S. 6–23.

NUSSER, Peter: Der Kriminalroman. Stuttgart 2009.

  • 1. Diese Allusion auf den blinden Seher Tiresias, der Odysseus im 11. Gesang der Odyssee entdeckt, wer ihm seine Reise verhindert, verweist bereits in nuce auf jene paradoxe Struktur des allsehenden Auges der Drohne und dem Nicht-Wissen, das ihr zugrunde liegt – allerdings in umgekehrter Reihenfolge. Im Gegensatz zur Figur des Weisen Tiresias sind Drohnen nicht etwa blind, verfügen ihrer panoptischen Perspektive zum Trotz aber nur über ein sehr eingeschränktes Wissen.
  • 2. Zur Gattungstypologie des Kriminalromans siehe die paradigmatische Studie von: Peter Nusser: Der Kriminalroman. Stuttgart 2009, S. 23.
  • 3. Gregoire Chamayou: Ferngesteuerte Gewalt. Eine Theorie der Drohne. Wien 2014, S. 26.
  • 4. Zu diesem Typ Drohne gehören die Reaper und Predator Drohnen, die ausschließlich den militärischen Zwecken der Feindbekämpfung aus der Luft dienen. Vgl. ebd., S. 24–25.
  • 5. Entsprechend sind Drohnen nicht nur Gegenstand der Militär- und Polizeiwissenschaften, sondern im Schnittpunkt mehrerer Wissensfelder zu verorten wie der Kybernetik, der Informatik, den Rechts- und den Sozialwissenschaften, auf die hier nicht alle im Detail eingegangen wird.
  • 6. Tom Hillenbrand: Drohnenland. Köln 2014 (im Folgenden zitiert als D), S. 8.
  • 7. Chamayou: Ferngesteuerte Gewalt (Anm. 3), S. 55.
  • 8. In den Humanwissenschaften wird die Emergenz dieser Problematik gemeinhin mit dem Einsetzen der europäischen Aufklärung im Allgemeinen und dem Erscheinen von Kants zweiter Kritik im Besonderen datiert.
  • 9. Michel Foucault: Technologien des Selbst. Frankfurt / M. 1993, S. 24–62.
  • 10. Ebd., S. 26.
  • 11. Vgl. hierzu eine Reihe an Arbeiten und Aufsätzen, so etwa die von: Michel Foucault: Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses. Frankfurt / M. 1977, S. 177: »[Die Disziplin, A.I.] spaltet die Macht des Körpers; sie macht daraus einerseits eine ›Fähigkeit‹, eine ›Tauglichkeit‹, die sie zu steigern sucht; und andererseits polt sie die Energie, die Mächtigkeit, die daraus resultieren könnte, zu einem Verhältnis strikter Unterwerfung um.« Diese Beschreibung Foucaults, der man bereits die Minimalformel des Subjekts in seinem wörtlichen Sinne als dem eines selbstermächtigt Unterworfenem (sub-jectum) entnehmen kann und die er im Kontext des (absolutistischen) Disziplinapparates verortet, beansprucht auch noch gegenwärtig ihre Gültigkeit: Eine Adaption des Möbiusbandes als Modell für das Verhältnis zwischen dem Computerspiel und dem Verhältnis zum Subjekt des Spielers/der Spielerin bietet der Aufsatz von Maren Conrad: »Paradoxe Interaktivität. Zum Potential der Feedbackschleife als integratives Modell am Beispiel des Computerspiels«. In: Promotionskolleg Literaturtheorie als Theorie der Gesellschaft (Hg.): Literatur. Macht. Gesellschaft. Heidelberg 2015, S. 79–101.
  • 12. Mit Macht werden hier nicht nur politische Autoritäten verstanden, sondern die Summe an Kräfteverhältnissen, die sich auch jenseits von Hierarchien im Miteinander von Subjekten auskristallisieren.
  • 13. Michel Foucault: Dispositive der Macht. Berlin 1978, S. 119.
  • 14. Chamayou: Ferngesteuerte Gewalt (Anm. 3), S. 71.
  • 15. Mit einer genaueren Analyse dieser automatischen Erkennung wird sich Abschnitt 3 in diesem Artikel befassen. Vgl. hierzu auch Chamayou: Ferngesteuerte Gewalt (Anm. 3), S. 47–58 sowie S. 57–63.
  • 16. Drösser verweist hierbei auf die praktischen Fähigkeiten von Algorithmen in Navigationsgeräten binnen weniger Sekunden eine Route zu berechnen oder beim Online-Dating einen passenden Partner/Partnerin auszuforschen. Vgl. Christoph Drösser: Total berechenbar? Wenn Algorithmen für uns entscheiden. München 2016, S. 11, S. 65–83, sowie S. 183–197.
  • 17. Carl von Clausewitz: Vom Kriege. Berlin 2008, S. 29.
  • 18. Zur Ausklammerung von Subjekten aus der politischen Entscheidung siehe auch Chamayou: Ferngesteuerte Gewalt (Anm. 3), S. 193, S. 217.
  • 19. Wie etwa in Mary Shelleys Frankenstein, das Kommissar Westerhuizen auch direkt als Anspielung auf die Metapher seiner Datenanalystin folgen lässt oder aber in einer etwas modifizierten Variante bei Stanislav Lem, in Also sprach Golem, in welcher die Maschine Golem XIV Vorlesungen über die zu diesem Zeitpunkt bereits ausgestorbene menschliche Spezies hält. Vgl. Mary Shelly: Frankenstein. London 2003; sowie Stanislav Lem: Also sprach Golem. Frankfurt / M. 1984.
  • 20. Chamayou: Ferngesteuerte Gewalt (Anm. 3), S. 53.
  • 21. Streng genommen lassen sich mittels analoger Spurensicherung bereits Täterprofile erstellen, aus denen auf weitere mögliche Taten geschlossen werden kann, doch der entscheidende Unterschied liegt darin, dass diese Analyse der Lebensmuster gegenwärtig mit einem Handlungsimperativ ausgestattet wird, vermeintliche (Atten)Täter präemptiv aus dem Verkehr zu ziehen.
  • 22. Ulrich Bröckling: »Dispositive der Vorbeugung: Gefahrenabwehr, Resilienz, Precaution«. In: Christopher Daase u.a. (Hg.): Sicherheitskultur. Soziale und politische Praktiken der Gefahrenabwehr. Frankfurt / M., New York, S. 93–108, hier S. 100.
  • 23. Vgl. ebd.
  • 24. Vgl. ebd.; sowie Lars Koch, Tobias Nanz u. Johannes Pause: »Imaginationen der Störung. Ein Konzept. In: Behemoth. A Journal on Civilisation 9.1 (2016), S. 6–23. In ihrer Einführung zu dem Themenkreis der Störung als kulturwissenschaftliches Paradigma orientieren sich auch Koch, Nanz und Pause an der von Ulrich Bröckling vorgeschlagenen Unterscheidung der drei aufeinander folgenden Vorsorgeregime von Hygiene, Immunisierung und Precaution, denen er jeweils ein symmetrisches bzw. asymmetrisches Begriffspaar zu Seite stellt. Inspiriert von Donald Rumsfeld, der in seiner Rede zur Legitimierung des Irakkrieges zwischen Gefahren auf der Grundlage der known unknowns und jenen der unknown unknowns unterscheidet, hat sich von dieser anfangs belächelten und paradoxen Wendung ausgehend allmählich eine ernstzunehmende Auseinandersetzung entwickelt, die sich u.a. auch bei Slavoj Žižek findet, der den Terminus des known unkown, des bekannten Unbekannten, repräsentativ für jenen Bereich der menschlichen Psyche entwickelt hat, den man das Unbewusste nennt.
  • 25. Vgl. Chamayou: Ferngesteuerte Gewalt (Anm. 3), S. 213–229.

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